Forderung 12 von 21: Medizinische Anwendung psychoaktiver Substanzen stärken

Personen, die illegalisierte Drogen nehmen oder in der Vergangenheit genommen haben, dürfen in der medizinischen Behandlung nicht weiter benachteiligt werden. Weder in der Psychotherapie noch in der Schmerz‑, Krebs- oder HIV-​Therapie darf es Einschränkungen durch Drogengesetze geben.

Dass Personen, die Opioide zur Substitutionsbehandlung einnehmen, keinen Schmerz fühlen könnten, ist ein Vorurteil mit grausamen Folgen für die Betroffenen. Diese und weitere Vorurteile im Gesundheitssystem gegenüber Personen, die illegalisierte Drogen gebrauchen oder gebraucht haben, abzubauen, darf nicht weiter allein dem Engagement einzelner Personen oder Verbände überlassen werden, sondern ist Aufgabe des Staates (Forderung 20).

Die Konsiliarregelung nach der Betäubungsmittel-​Verschreibungsverordnung (BtMVV) ermöglicht es niedergelassenen Ärzt*innen, auch ohne eine spezialisierte Substitutionspraxis, bis zu 10 Patient*innen eine qualifizierte medikamentengestützte Substitutions- oder Diamorphinbehandlung anzubieten. Diese Möglichkeit wird jedoch bislang nur selten genutzt. Haus- und Fachärzt*innen sollten die benötigten Schulungen wahrnehmen, um diese Medikamente verschreiben zu können. Die Lehrpläne im Studium müssen erweitert werden, um Stigmatisierung, Vorurteilen und Falschbehandlungen entgegenzuwirken.

Die Einnahme von Cannabinoid-​basierten Arzneimitteln, ob durch Rauchen, Vaporisieren oder über die nasalen und oralen Darreichungsformen, ist auch noch Jahre nach dem medizinischen Cannabisgesetz stigmatisiert. Vorurteile und Vorbehalte existieren auch im Gesundheitssystem fort. Patient*innen wird oft grundsätzlich abgesprochen, die geeignete Dosis, Häufigkeit und Konsumform im Sinne ihrer Gesundheit selbst einschätzen zu können.

In der therapeutischen Anwendung psychoaktiver Substanzen, insbesondere bei Psychedelika, muss die gleiche Teilhabe unabhängig von finanziellen Ressourcen von Patient*innen sichergestellt werden. Zum Beispiel ist die Behandlung mit intravenösem Ketamin derzeit nur für Selbstzahlende möglich.

Regelungen im nationalen wie im EU-​Recht müssen genutzt werden, die einen Compassionate Use von Substanzen in Fällen erlauben, in denen es sonst kein wirksames Heilmittel gibt, das nachhaltige Besserung verspricht.

In den letzten Jahren wurden die medizinischen Einsatzmöglichkeiten von psychoaktiven Substanzen, die teilweise seit Jahrtausenden genutzt werden, von immer mehr Menschen erforscht und anerkannt. Nicht nur Cannabis als Medizin muss dringend für alle mit Bedarf zugänglich gemacht werden. Es gibt großes Potential in der Wirksamkeit von Substanzen, die aufgrund der Kriminalisierung in der Medizin unterrepräsentiert sind und unter Umständen verhältnismäßig wirksamer und nebenwirkungsärmer sind als Medikamente, die bisher innerhalb medizinischer Versorgungssysteme etabliert sind.

Womöglich wirksame Behandlungen mit aktuell illegalisierten Substanzen dürfen von der gescheiterten Prohibitionspolitik nicht weiter ausgebremst werden. Die Möglichkeiten in der Medizin sind infolge der Kriminalisierung noch kaum erforscht. Die Aussicht auf wirksame Medikamente und Therapien ist jedoch enorm: von der Schmerztherapie, über die Psychotherapie bis hin zu einer Reihe von chronischen Erkrankungen. Hier muss dringend verstärkt geforscht werden können. Wie bei der Erforschung vieler anderer Medikamente und Behandlungen auch, braucht es eine öffentliche Finanzierung.

Aber ist es ethisch zumutbar, auf jahrelange Forschung zu warten, wenn der Selbstversuch mit selbst angebauten Pflanzen oder Pilzen schnellen Aufschluss geben kann?

Eine umfassende Legalisierung (Forderung 1) wird die Barrieren für die Forschung an psychoaktiven Substanzen abbauen, sodass nicht mehr, wie aktuell, zäh um einzelne Ausnahmen für Forschungsvorhaben gekämpft werden muss.

Die Illegalisierung einiger psychoaktiver Substanzen steht im Konflikt mit ihren jahrhunderte- bis jahrtausendealten Traditionen und kulturellen Praktiken, die durch das kollektive und historisch weitergetragene Wissen als sicher und geprüft gelten können.

Zum Weiterlesen:

Der #MyBrainMyChoice-​Aktionsplan

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