Basierend auf ersten Erfahrungen in mehreren Ländern der Welt und US-Bundesstaaten hat der internationale drogenpolitische Dachverband International Drug Policy Consortium IDPC eine Broschüre zur verantwortungsvollen Cannabislegalisierung herausgegeben. Die 20 Grundsätze definieren den Rahmen für die Ausgestaltung eines sozial gerechten Gesetzes. Was darf bei der Formulierung eines sozial gerechten Cannabisgesetzes nicht vernachlässigt werden?
Das englischsprachige Original der Kurzfassung und den ausführlichen Bericht findest Du/finden Sie hier bei IDPC.
Deutsche Übersetzung: Philine Edbauer, Claus Hirsch, Julian Roux, Elli Schwarz (MyBrainMyChoice Initiative und Students for Sensible Drug Policy SSDP Berlin)
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Gelesen von Jonathan Grün
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Broschüre:
Einleitung
Gesundheit und Menschenrechte von Personen, die Drogen nehmen
1. Rechtssicherheit
Im Unterschied zu informellen Märkten ermöglicht ein legal regulierter Markt die Einführung von Verbraucherschutz und Bestimmungen zum Schutz der Gesundheit, um die Rechte von Personen, die Drogen nehmen, zu wahren. Arbeitsgesetze können Beschäftigte der Cannabisbranche vor Ausbeutung und Erpressung schützen.
2. Öffentliche Gesundheit und Schadensminimierung
Eine legale Regulierung kann als mächtiges Instrument zur Schadensminimierung eingesetzt werden. Zum einen lässt sich so das Stigma des Drogengebrauchs verringern, zum anderen werden der Zugang zur Gesundheitsversorgung und die Qualität des Drogenangebots gewährleistet.
3. Selbstbestimmung, Freiheit und Privatsphäre
Regulierungen sollten ein ausgewogenes Verhältnis zwischen dem Recht des Einzelnen auf Selbstbestimmung und Privatsphäre einerseits und dem Schutz der öffentlichen Gesundheit andererseits anstreben. Jeder Eingriff, der die Ausübung von Grundrechten einschränkt, muss gut begründet sein.
4. Bedürfnisorientierter und offener Marktzugang
Um eine tragfähige Alternative zur informellen Versorgung zu bieten, müssen regulierte Märkte offen zugänglich sein und den Bedürfnissen von Personen, die Drogen nehmen, entsprechen. Dabei dürfen die Gebraucher*innen von medizinischen Cannabisprodukten nicht unberücksichtigt bleiben.
Soziale Gerechtigkeit
5. Beteiligung betroffener Bevölkerungsgruppen
Die Gesetzgebung sollte das reichhaltige Wissen der Akteur*innen auf den derzeit illegalen Märkten einbeziehen. Dazu gehören Produzent*innen, ebenso wie an der Logistik und am Vertrieb beteiligte Personen und Cannabiskonsument*innen.
6. Übergang in die Legalität
In legalen Märkten muss die Beteiligung von Menschen und Gruppen, die in informelle Drogenmärkte involviert sind, aktiv gefördert werden. Bestehende rechtliche, finanzielle, technische und bürokratische Hindernisse müssen abgebaut werden.
7. Kleinerzeuger*innen
Um eine angemessene und nachhaltige Lebensgrundlage für traditionelle Cannabisanbauer*innen zu gewährleisten, sollte die Gesetzgebung ihrer Beteiligung am Handel Vorrang einräumen und sicherstellen, dass sie nicht durch neue, kommerzielle Unternehmen verdrängt werden.
8. Wiedergutmachung, Genugtuung & Nichtwiederholung
Der gesetzliche Rahmen sollte eine umfassende Wiedergutmachung für Personen und Gemeinschaften vorsehen, die unter der Prohibition gelitten haben. Er sollte für frühere Rechtsverletzungen entschädigen und Mittel zur Unterstützung der zu Unrecht Verfolgten bereitstellen.
9. Traditionelle Nutzung
Gesetzliche Regelungen sollten den Wert der reichen Geschichte traditioneller, kultureller, religiöser und medizinischer Anwendungen anerkennen und die Voraussetzungen für ihre Erhaltung und ihre weitere Entfaltung sicherstellen.
Inklusiver und gerechter Handel
10. Inklusive Geschäftsmodelle
Legale Märkte sollten darauf abzielen, Macht und Wertschöpfung entlang der gesamten Lieferkette zu verteilen, indem sie alternative Geschäftsmodelle ermöglichen, die die gesellschaftliche Zusammenarbeit stärken – von landwirtschaftlichen Genossenschaften bis hin zu Cannabis Social Clubs.
11. Arbeitnehmer*innenrechte
In einem legalen System haben Beschäftigte Anspruch auf Arbeitsschutz und Arbeitsrechte, die durch formale Verfahren eingefordert werden können. Zertifizierungssysteme können dazu beitragen, diese Arbeitsstandards auf die gesamte Lieferkette auszudehnen.
12. Wertschöpfung
Gesetzgeber sollten mit Produzent*innen und Konsument*innen zusammenarbeiten, um innovative Zertifizierungssysteme zu entwickeln, die den wirtschaftlichen Erfolg und die Wettbewerbsfähigkeit kleiner und mittlerer Erzeuger*innen stärken sowie faire und nachhaltige Geschäftsmodelle fördern.
13. Herausforderungen für den internationalen Handel
Die Gesetzgeber sollten ihre Möglichkeiten prüfen, wie sie länderübergreifende Handelshemmnisse bei nicht-medizinischem Cannabis abbauen und gleichzeitig traditionelle Erzeuger*innen vor dem Zufluss von ausländischem Kapital schützen können.
14. Ökologische Nachhaltigkeit
Um möglichen Umweltschäden entgegenzuwirken, sind strenge gesetzliche Auflagen sowie Umweltzertifizierungen zur Förderung nachhaltiger Praktiken in der gesamten Lieferkette erforderlich.
Rechtlicher Umgang mit Aktivitäten außerhalb des legalen Marktes
15. Entkriminalisierung des Drogengebrauchs und konsumnaher Delikte
Ein sozial gerechter Rechtsrahmen ist unvereinbar mit jeder Form von strafrechtlicher und ordnungsrechtlicher Verfolgung des Eigenbedarfs.
16. Verhältnismäßigkeit
Wenn strafrechtliche Maßnahmen gegen drogenbezogene Aktivitäten wie Drogenhandel beibehalten werden, müssen sie verhältnismäßig sein, die persönlichen Umstände berücksichtigen und mit entsprechend geeigneten Hilfsangeboten einhergehen.
Gendersensibler Ansatz
17. Frauen und Anbau
Um der Diskriminierung und Belästigung von Frauen, die Cannabis anbauen, entgegenzuwirken, sollte die Gesetzgebung genderspezifische Schutzmaßnahmen gegen Ausbeutung und Übergriffe schaffen.
18. Zugänglichkeit von Angeboten
Gendersensible Drogentherapie- und Schadensminimierungsangebote, die den spezifischen Bedürfnissen von Frauen gerecht werden, müssen durch gesetzliche Maßnahmen gefördert werden.
19. Gleichberechtigung
Die Gesetzgeber müssen umgehend Maßnahmen ergreifen, um die strukturellen Geschlechter- und Machtungleichgewichte auf den legalen Cannabismärkten zu beseitigen.
Beobachten und Lernen
20. Datenerhebung und Feedbackprozesse
Regulierung ist ein schrittweiser Prozess. Der Rechtsrahmen muss auf der Grundlage unabhängiger Daten, gewonnener Erfahrungen, der Marktentwicklung und unter Einbeziehung der betroffenen Bevölkerungsgruppen und der Zivilgesellschaft fortlaufend überprüft und angepasst werden.
Aktuelles:
Oktober 2023: Die aktualisierte Broschüre ist wieder als PDF-Download verfügbar. Die Übersetzung im Blog wurde im August 2023 überarbeitet und im September 2023 um den Kommentar zum gendersensiblen Ansatz ergänzt.
August/September 2023: Anlässlich der parlamentarischen Debatte über das CanG: Zusammen mit einem Exemplar des Buchs „Cannabis Regulieren: Ein Praxisleitfaden“ und einem Ausdruck unseres Appells an den Bundestag „ ‚Unbeabsichtige Folgen‘ des Cannabisgesetzes sind vermeidbar!“ haben wir die 20 Grundsätze an die Mitglieder des Rechts- und Innenausschusses der Bundesregierung verschickt.
[…] Gesundheitsversorgung, Wiederaufbau von Privatsphäre, Entschädigungen und Reinvestitionen und verwortungsvollen Regulierungen legaler Märkte und Lieferketten zu […]
[…] Personen, die mehr als die legal definierte Menge an Cannabis mit sich führen, Personen, die andere Drogen bei sich tragen als die als legal definierten und Personen, die unter gesellschaftlich benachteiligten Bedingungen „Drogendelikte begehen“, müssen vor einer Verschiebung der Polizeiressourcen zu ihrem Nachteil bewahrt werden. Es muss ausgeschlossen werden, dass eine Entbürokratisierung der Polizeiarbeit durch das CanG zu einer Intensivierung bestehender Polizeiarbeit in der „Drogenbekämpfung“ führen kann. International wurde dieser Effekt im Kontext von Entkriminalisierungen bereits als „Political Red Herring“ (in etwa: Politisches Ablenkungsmanöver) benannt (siehe INPUD, 2021). Dieser Effekt tritt ein, wenn Straftatbestände bei einer Gesetzesreform durch neue strafrechtliche Vergehen oder Ordnungswidrigkeiten ersetzt werden. (Siehe auch: idpc „20 Grundsätze für eine sozial gerechte Legalisierung“, Punkte 15 & 16) […]
[…] übersetzte Philine zusammen mit anderen Mitwirkenden der MyBrainMyChoice Initiative zudem die „20 Grundsätze für eine verantwortungsvolle Cannabislegalisierung”, die 2020 vom internationalen Dachverband für drogenpolitische Reformen und Harm Reduction idpc […]
[…] zusammen mit unserem Appell „Unbeabsichtigte Folgen“ des CanG sind vermeidbar! und den 20 Grundsätzen für eine verantwortungsvolle Legalisierung von Cannabis von IDPC. Beim Gesprächstermin mit Burkhard Blienert im Juli haben wir unsere Bedenken in Bezug […]
[…] Personen, die mehr als die legal definierte Menge an Cannabis mit sich führen, Personen, die andere Drogen bei sich tragen als die als legal definierten und Personen, die unter gesellschaftlich benachteiligten Bedingungen „Drogendelikte begehen“, müssen vor einer Verschiebung der Polizeiressourcen zu ihrem Nachteil bewahrt werden. Es muss ausgeschlossen werden, dass eine Entbürokratisierung der Polizeiarbeit durch das CanG zu einer Intensivierung bestehender Polizeiarbeit in der „Drogenbekämpfung“ führen kann. International wurde dieser Effekt im Kontext von Entkriminalisierungen bereits als „Political Red Herring“ (in etwa: Politisches Ablenkungsmanöver) benannt (siehe INPUD, 2021). Dieser Effekt tritt ein, wenn Straftatbestände bei einer Gesetzesreform durch neue strafrechtliche Vergehen oder Ordnungswidrigkeiten ersetzt werden. (Siehe auch: idpc „20 Grundsätze für eine sozial gerechte Legalisierung“, Punkte 15 & 16) […]
[…] idpc: “20 Grundsätze für eine legale verantwortungsvolle Regulierung von Cannabis” […]