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20 Grundsätze für eine verantwortungsvolle Legalisierung von Cannabis

Basierend auf ersten Erfahrungen in mehreren Ländern der Welt und US-​Bundesstaaten hat der internationale drogenpolitische Dachverband International Drug Policy Consortium IDPC eine Broschüre zur verantwortungsvollen Cannabislegalisierung herausgegeben. Die 20 Grundsätze definieren den Rahmen für die Ausgestaltung eines sozial gerechten Gesetzes. Was darf bei der Formulierung eines sozial gerechten Cannabisgesetzes nicht vernachlässigt werden?

Das englischsprachige Original der Kurzfassung und den ausführlichen Bericht findest Du/​finden Sie hier bei IDPC.

Deutsche Übersetzung: Philine Edbauer, Claus Hirsch, Julian Roux, Elli Schwarz (MyBrainMyChoice Initiative und Students for Sensible Drug Policy SSDP Berlin)

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Gelesen von Jonathan Grün
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Broschüre:

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Einleitung

In den letzten Jahren ist die Diskussion um die legale Regulierung von Drogen – insbesondere von Cannabis – in den Mittelpunkt der drogenpolitischen Debatten gerückt. Mittlerweile haben mehr als 50 Länder rechtliche Rahmenbedingungen für die medizinische Verwendung von Cannabis geschaffen. Auch die Regulierung des nicht-​medizinischen Gebrauchs für Erwachsene schreitet in immer mehr Ländern voran. Im Zuge dieser neuen gesetzlichen Regelungen ist es erforderlich, sich auf die Förderung von sozialer Gerechtigkeit, Inklusion und Menschenrechten zu fokussieren.

Die legale Regulierung einer illegalisierten Droge ist kein Wundermittel, das alle schädlichen Folgen der Prohibition beseitigt. Sie kann jedoch ein wirksames Instrument sein, um Jahrzehnte der Kriminalisierung, der wirtschaftlichen Ausgrenzung und des mangelnden Zugangs zu angemessener Gesundheitsversorgung zu überwinden. Legale Märkte können jedoch auch von kommerziellen Interessen vereinnahmt werden und es versäumen, umfassende Maßnahmen zur Kompensation der Schäden des ‚Krieges gegen die Drogen‘ zu integrieren. Darüber hinaus kann ein neuer Rechtsrahmen diejenigen Personen weiter kriminalisieren, die in der Illegalität verbleiben, die außerhalb eines regulierten Cannabismarktes unvermeidlich fortbesteht.

Die 198 Mitglieder des IDPC-​Netzwerks arbeiten weltweit in unterschiedlichen rechtlichen, politischen und kulturellen Kontexten. Entsprechend dieser Vielfalt treten einige IDPC-​Mitglieder für gesetzliche Regulierungen ein, während sich andere auf Maßnahmen zur Förderung der öffentlichen Gesundheit und sozialen Gerechtigkeit konzentrieren, wie z.B. Schadensminimierung und Entkriminalisierung. Die Debatte über die legale Regulierung von Cannabis, sei es für medizinische oder nichtmedizinische Zwecke für Erwachsene, ist jedoch zunehmend unausweichlich geworden.

Anlässlich der in den letzten Jahren weltweit zunehmenden Debatte über die Regulierung von Cannabis hat der drogen- und suchtpolitische Dachverband International Drug Policy Consortium idpc Grundsätze für eine verantwortungsvolle gesetzliche Regulierung von Cannabis formuliert. In 6 Abschnitten werden 20 Prinzipien vorgestellt, die jedem gesetzlichen Rahmen, sowohl für den medizinischen als auch den nicht-​medizinischen Gebrauch für Erwachsene, zugrunde liegen sollten.

Gesundheit und Menschenrechte von Personen, die Drogen nehmen

Legale Märkte sollten die Gesundheit und die Menschenrechte von Personen, die Drogen nehmen, schützen, indem sie ihnen umfassenden Zugang zum Gesundheitswesen sowie alle Rechte und Schutzmaßnahmen gewähren, die auch Gebraucher*innen legaler Drogen zugestanden werden.

1. Rechtssicherheit

Im Unterschied zu informellen Märkten ermöglicht ein legal regulierter Markt die Einführung von Verbraucherschutz und Bestimmungen zum Schutz der Gesundheit, um die Rechte von Personen, die Drogen nehmen, zu wahren. Arbeitsgesetze können Beschäftigte der Cannabisbranche vor Ausbeutung und Erpressung schützen.

2. Öffentliche Gesundheit und Schadensminimierung

Eine legale Regulierung kann als mächtiges Instrument zur Schadensminimierung eingesetzt werden. Zum einen lässt sich so das Stigma des Drogengebrauchs verringern, zum anderen werden der Zugang zur Gesundheitsversorgung und die Qualität des Drogenangebots gewährleistet.

3. Selbstbestimmung, Freiheit und Privatsphäre

Regulierungen sollten ein ausgewogenes Verhältnis zwischen dem Recht des Einzelnen auf Selbstbestimmung und Privatsphäre einerseits und dem Schutz der öffentlichen Gesundheit andererseits anstreben. Jeder Eingriff, der die Ausübung von Grundrechten einschränkt, muss gut begründet sein.

4. Bedürfnisorientierter und offener Marktzugang

Um eine tragfähige Alternative zur informellen Versorgung zu bieten, müssen regulierte Märkte offen zugänglich sein und den Bedürfnissen von Personen, die Drogen nehmen, entsprechen. Dabei dürfen die Gebraucher*innen von medizinischen Cannabisprodukten nicht unberücksichtigt bleiben.

Soziale Gerechtigkeit

Um den strukturellen Ungleichheiten, die durch die jahrzehntelange Prohibition entstanden sind, entgegenzuwirken, müssen gesetzliche Regelungen die Teilhabe von Personen, Gemeinschaften und Kollektiven, die im informellen Markt tätig sind, priorisieren, sowie umfassende Maßnahmen zur Wiedergutmachung und zum Schutz traditioneller Gebrauchsformen beinhalten.

5. Beteiligung betroffener Bevölkerungsgruppen

Die Gesetzgebung sollte das reichhaltige Wissen der Akteur*innen auf den derzeit illegalen Märkten einbeziehen. Dazu gehören Produzent*innen, ebenso wie an der Logistik und am Vertrieb beteiligte Personen und Cannabiskonsument*innen.

6. Übergang in die Legalität

In legalen Märkten muss die Beteiligung von Menschen und Gruppen, die in informelle Drogenmärkte involviert sind, aktiv gefördert werden. Bestehende rechtliche, finanzielle, technische und bürokratische Hindernisse müssen abgebaut werden.

7. Kleinerzeuger*innen

Um eine angemessene und nachhaltige Lebensgrundlage für traditionelle Cannabisanbauer*innen zu gewährleisten, sollte die Gesetzgebung ihrer Beteiligung am Handel Vorrang einräumen und sicherstellen, dass sie nicht durch neue, kommerzielle Unternehmen verdrängt werden.

8. Wiedergutmachung, Genugtuung & Nichtwiederholung

Der gesetzliche Rahmen sollte eine umfassende Wiedergutmachung für Personen und Gemeinschaften vorsehen, die unter der Prohibition gelitten haben. Er sollte für frühere Rechtsverletzungen entschädigen und Mittel zur Unterstützung der zu Unrecht Verfolgten bereitstellen.

9. Traditionelle Nutzung

Gesetzliche Regelungen sollten den Wert der reichen Geschichte traditioneller, kultureller, religiöser und medizinischer Anwendungen anerkennen und die Voraussetzungen für ihre Erhaltung und ihre weitere Entfaltung sicherstellen.

Inklusiver und gerechter Handel

Durch die Schaffung eines neuen legalen Marktes können alternative Geschäftsmodelle und Handelspolitiken etabliert werden, die die Macht entlang der Lieferketten verteilen und faire Arbeitsbedingungen und Umweltschutz fördern.

10. Inklusive Geschäftsmodelle

Legale Märkte sollten darauf abzielen, Macht und Wertschöpfung entlang der gesamten Lieferkette zu verteilen, indem sie alternative Geschäftsmodelle ermöglichen, die die gesellschaftliche Zusammenarbeit stärken – von landwirtschaftlichen Genossenschaften bis hin zu Cannabis Social Clubs.

11. Arbeitnehmer*innenrechte

In einem legalen System haben Beschäftigte Anspruch auf Arbeitsschutz und Arbeitsrechte, die durch formale Verfahren eingefordert werden können. Zertifizierungssysteme können dazu beitragen, diese Arbeitsstandards auf die gesamte Lieferkette auszudehnen.

12. Wertschöpfung

Gesetzgeber sollten mit Produzent*innen und Konsument*innen zusammenarbeiten, um innovative Zertifizierungssysteme zu entwickeln, die den wirtschaftlichen Erfolg und die Wettbewerbsfähigkeit kleiner und mittlerer Erzeuger*innen stärken sowie faire und nachhaltige Geschäftsmodelle fördern.

13. Herausforderungen für den internationalen Handel

Die Gesetzgeber sollten ihre Möglichkeiten prüfen, wie sie länderübergreifende Handelshemmnisse bei nicht-​medizinischem Cannabis abbauen und gleichzeitig traditionelle Erzeuger*innen vor dem Zufluss von ausländischem Kapital schützen können.

14. Ökologische Nachhaltigkeit

Um möglichen Umweltschäden entgegenzuwirken, sind strenge gesetzliche Auflagen sowie Umweltzertifizierungen zur Förderung nachhaltiger Praktiken in der gesamten Lieferkette erforderlich.

Rechtlicher Umgang mit Aktivitäten außerhalb des legalen Marktes

Einige Aktivitäten werden wahrscheinlich weiterhin außerhalb des gesetzlichen Rahmens stattfinden. Gegenmaßnahmen müssen stets verhältnismäßig sein. Dies erfordert die Entkriminalisierung des Gebrauchs bzw. konsumnaher Delikte für alle illegalen Drogen.

15. Entkriminalisierung des Drogengebrauchs und konsumnaher Delikte

Ein sozial gerechter Rechtsrahmen ist unvereinbar mit jeder Form von strafrechtlicher und ordnungsrechtlicher Verfolgung des Eigenbedarfs.

16. Verhältnismäßigkeit

Wenn strafrechtliche Maßnahmen gegen drogenbezogene Aktivitäten wie Drogenhandel beibehalten werden, müssen sie verhältnismäßig sein, die persönlichen Umstände berücksichtigen und mit entsprechend geeigneten Hilfsangeboten einhergehen.

Gendersensibler Ansatz

Um allen Geschlechtern einen gleichberechtigten Zugang zu Arbeitsrechten, Gesundheitsversorgung und wirtschaftlicher Handlungsfähigkeit zu sichern, müssen gesetzliche Bestimmungen ihre spezifischen Bedürfnisse und aktuellen Lebenslagen berücksichtigen.

[Ergänzung von MyBrainMyChoice zum gendersensiblen Ansatz: Menschen mit einem anderen Geschlecht als dem, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde, leben oft mit zusätzlichen oder anderen Formen der Benachteiligung. Die 20 Grundsätze und der Begleit-​Bericht (Englisch) gehen nur auf die Unterrepräsentation von Frauen im Allgemeinen in der Cannabiswirtschaft und im Gesundheitssystem ein. Daher möchten wir ergänzend den Aufsatz von Ailish Brennan empfehlen, die für das Buch „The Impact of Global Drug Policy on Women: Shifting the Needle“ ein Kapitel über die zusätzlichen Formen der Diskriminierung von trans Frauen als Folge des globalen Krieges gegen die Drogen geschrieben hat: „Queer Feminine Identities and the War on Drugs“ (Englisch). Das Buch ist online frei zugänglich.]

17. Frauen und Anbau

Um der Diskriminierung und Belästigung von Frauen, die Cannabis anbauen, entgegenzuwirken, sollte die Gesetzgebung genderspezifische Schutzmaßnahmen gegen Ausbeutung und Übergriffe schaffen.

18. Zugänglichkeit von Angeboten

Gendersensible Drogentherapie- und Schadensminimierungsangebote, die den spezifischen Bedürfnissen von Frauen gerecht werden, müssen durch gesetzliche Maßnahmen gefördert werden.

19. Gleichberechtigung

Die Gesetzgeber müssen umgehend Maßnahmen ergreifen, um die strukturellen Geschlechter- und Machtungleichgewichte auf den legalen Cannabismärkten zu beseitigen.

Beobachten und Lernen

20. Datenerhebung und Feedbackprozesse

Regulierung ist ein schrittweiser Prozess. Der Rechtsrahmen muss auf der Grundlage unabhängiger Daten, gewonnener Erfahrungen, der Marktentwicklung und unter Einbeziehung der betroffenen Bevölkerungsgruppen und der Zivilgesellschaft fortlaufend überprüft und angepasst werden.


Aktuelles:

Oktober 2023: Die aktualisierte Broschüre ist wieder als PDF-​Download verfügbar. Die Übersetzung im Blog wurde im August 2023 überarbeitet und im September 2023 um den Kommentar zum gendersensiblen Ansatz ergänzt.

August/​September 2023: Anlässlich der parlamentarischen Debatte über das CanG: Zusammen mit einem Exemplar des Buchs „Cannabis Regulieren: Ein Praxisleitfaden“ und einem Ausdruck unseres Appells an den Bundestag „ ‚Unbeabsichtige Folgen‘ des Cannabisgesetzes sind vermeidbar!“ haben wir die 20 Grundsätze an die Mitglieder des Rechts- und Innenausschusses der Bundesregierung verschickt.

4 Kommentare

  1. […] übersetzte Philine zusammen mit anderen Mitwirkenden der MyBrainMyChoice Initiative zudem die „20 Grundsätze für eine verantwortungsvolle Cannabislegalisierung”, die 2020 vom internationalen Dachverband für drogenpolitische Reformen und Harm Reduction idpc […]

  2. […] Personen, die mehr als die legal definierte Menge an Cannabis mit sich führen, Personen, die andere Drogen bei sich tragen als die als legal definierten und Personen, die unter gesellschaftlich benachteiligten Bedingungen „Drogendelikte begehen“, müssen vor einer Verschiebung der Polizeiressourcen zu ihrem Nachteil bewahrt werden. Es muss ausgeschlossen werden, dass eine Entbürokratisierung der Polizeiarbeit durch das CanG zu einer Intensivierung bestehender Polizeiarbeit in der „Drogenbekämpfung“ führen kann. International wurde dieser Effekt im Kontext von Entkriminalisierungen bereits als „Political Red Herring“ (in etwa: Politisches Ablenkungsmanöver) benannt (siehe INPUD, 2021). Dieser Effekt tritt ein, wenn Straftatbestände bei einer Gesetzesreform durch neue strafrechtliche Vergehen oder Ordnungswidrigkeiten ersetzt werden. (Siehe auch: idpc „20 Grundsätze für eine sozial gerechte Legalisierung“, Punkte 15 & 16) […]

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