13 Forderungen für die Entkriminalisierung von Personen, die illegale Drogen nehmen
2022 erarbeitete eine bundesweit verteilte Gruppe von 20 Personen mit Drogen- und Suchterfahrung 13 Forderungen zur Entkriminalisierung von Personen, die illegale Drogen nehmen. In mehreren digitalen Treffen diskutierten die Beteiligten Perspektiven und Erfahrungen mit den Folgen der Strafverfolgung aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen, Szenen, Regionen und Generationen, Erkenntnisse aus verschiedenen Fachdisziplinen sowie eigene Drogenerfahrungen und die aus dem Freundes- und Familienkreis. Hinter der strafrechtlichen Kriminalisierung verbergen sich im Schatten von Tabuisierung, Stigmatisierung und Illegalität gravierende Probleme der Gesundheitspolitik, des Jugendschutzes und der Einhaltung internationaler Menschenrechtskonventionen. Die 13 Forderungen beschreiben die notwendigen Elemente einer umfassenden Drogen- und Suchtpolitik.
- Definition von Eigenbedarf für alle illegalen Drogen
- Definition von angemessenen Grenzwerten für den Straßenverkehr
- Kursänderung in der Investitionspolitik
- Harm Reduction und Safer Use-Angebote flächendeckend, zielgruppenspezifisch ausbauen
- Safer Use in Clubs und Gaststätten entkriminalisieren
- Drug-Checking flächendeckend für alle gängigen Substanzen etablieren
- Medizinische Anwendung illegaler Drogen stärken
- Jugendschutz mit Jugendlichen
- Inklusion von Personen, die illegale Drogen nehmen, in der Forschung
- Nothing About us Without Us: Mitwirkung an allen Schritten im Reformprozess
- Dauerhaftes Engagement einer unabhängigen, interdisziplinären Fachkommission
- Deeskalation & Wiederherstellung von Privatsphäre
- Stopp der laufenden Verfahren, Löschung der Strafregistereinträge & Entschädigung

Abschnitt I: Strafverfolgung
1: Definition von Eigenbedarf für alle illegalen Drogen
Der Besitz von illegalen Drogen für den Eigenbedarf muss straffrei sein. Strafbar sollte der Besitz illegaler Drogen nur noch dann sein, wenn profitorientierter Handel nachgewiesen werden kann. Die Justiz sollte nur dann tätig werden, wenn hinreichend Hinweise für diese Straftat vorliegen. Die Staatsanwaltschaft bzw. das Gericht muss für eine Verurteilung nachweisen, dass die Person
- nicht nur für die Mitbewohner oder den Freundeskreis miterworben, produziert oder abgegeben hat („Social Supply”),
- es sich nicht ausschließlich um die Finanzierung einer Abhängigkeitserkrankung handelt (also aus Not zur Abkehr von leidvollen Entzugserscheinung),
- es sich nicht um einen Vorrat zum Eigenverbrauch handelt, ob erworben oder produziert.
Zusammen mit Konsumierenden können sinnvolle Mengenangaben zur Unterscheidung von Eigenbedarf und profitorientiertem Handel definiert werden. Ohne die Berücksichtigung der obigen Faktoren im Einzelfall, werden sie aber als alleiniges Merkmal den unterschiedlichen Bedarfen und Lebenssituationen nicht gerecht.
Die Schwere von Strafen für profitorientierten Handel ist in seiner Verhältnismäßigkeit zu anderen Straftaten anzupassen. Profitorientierter Handel mit illegalen Drogen ohne nachweislicher Schädigung anderer durch Gewalt sollte dem unerlaubten Handel mit anderen Gütern angepasst werden. Die Inhaftierung muss auf Fälle beschränkt werden, in denen ein triftiger Grund für den Freiheitsentzug vorliegt.
2: Definition von angemessenen Grenzwerten für den Straßenverkehr
Personen, die illegale Drogen nehmen, werden in Deutschland darüber hinaus durch den prinzipiellen Führerscheinentzug und die einhergehenden persönlichen und beruflichen Schäden bestraft. Auch ohne beeinträchtigt gefahren zu sein, wird Personen, die illegale Drogen nehmen, aktuell im Generalverdacht unterstellt, nicht für den Straßenverkehr geeignet zu sein. Diese absurde Rechtspraxis muss dringend beendet werden.
Darüber hinaus müssen für den Straßenverkehr Grenzwerte festgelegt werden, die eine Teilnahme am Straßenverkehr erlauben, sobald eine Beeinträchtigung durch den Drogengebrauch nicht mehr gegeben ist. Urinproben oder Blutabnahmen ohne einen hinreichenden Verdacht auf beeinträchtigtes Fahren dürfen nicht mehr zulässig sein.
3: Kursänderung in der Investitionspolitik
Die staatlichen Investitionen stehen in einem Missverhältnis. Ein Großteil der Ausgaben im Drogenbereich fließt nach wie vor in die Strafverfolgung. Es ist jedoch Zeit für eine Kursänderung. Ziel muss es sein, jungen Menschen und Erwachsenen Perspektiven auf ein gutes Leben zu bieten.
Es braucht einerseits Investitionen in die Einrichtung und den Ausbau von Hilfsangeboten, beispielsweise niedrigschwellige Drogenberatungen und Streetwork, und andererseits Investitionen zur Behebung struktureller Defizite wie der Aufhebung des Stadt-Land-Gefälles in der gesundheitlichen Versorgung, Bildungsgerechtigkeit, die Beendigung von Kinderarmut, langfristige Arbeitsverträge, Verringerung von Wohnungsnot, Notschlafunterkünfte, Frauen*häuser, Bekämpfung von Hassverbrechen, um die allgemeinen Bedingungen für ein gutes Leben zu verbessern.
Die Finanzierung von Drogen‑, Aids- und Suchthilfe ist Aufgabe der Länder und Kommunen. Im vergangenen Jahrzehnt hat es kaum eine Erhöhung von Zuwendungen gegeben, um die immer vielfältiger werdenden Aufgaben dieser Einrichtungen zu gewährleisten. Dies muss dringend aufgeholt werden.
4: Harm Reduction und Safer Use-Angebote flächendeckend, zielgruppenspezifisch ausbauen
Für soziale und gesundheitliche Konflikte gibt es sozial- und gesundheitspolitische Antworten. Verfolgung durch die Polizei ist nicht Teil der Lösung, sondern führt oft erst zu Problemen. Die Lücken des Hilfesystems müssen geschlossen werden: Nicht nur legen die Bundesländer unterschiedlichen Wert auf wirksame Drogenhilfe, sondern auch das Stadt-Land-Gefälle ist fatal. Wo es bereits an allgemeinmedizinischer Versorgung mangelt, betrifft es die suchtmedizinische Versorgung umso mehr.
Wirksame Drogen- und Suchthilfe ist akzeptierend und ergebnisoffen. Sie zwingt weder Therapieform noch Therapieziel auf: Ob Abstinenz, Teilabstinenz (nur bestimmte Substanzen, während andere weiter konsumiert werden) oder medikamentengestützte Behandlung bei Heroinabhängigkeit – die verschiedenen Therapiearten müssen flächendeckend zugänglich werden. Flächendeckend heißt auch im Gefängnis: Das Recht von inhaftierten Personen auf äquivalente gesundheitliche Versorgung darf nicht weiter übergangen werden.
Weitere Mängel in der gesundheitlichen Versorgung und Prävention von gesundheitlichen Schäden sind zu beheben, um das Recht auf gesundheitliche Versorgung von Personen, die illegale Drogen nehmen, sicherzustellen:
- Die Genehmigung von Drogenkonsumräumen darf nicht mehr vom Willen der Landesregierungen abhängen. §10 BtMG bedarf einer grundlegenden Überarbeitung.
- Der formelle Übertritt vom Jugendhilfe- zum Gesundheitssystem für Erwachsene darf keine negativen Auswirkungen für Personen haben, die sich in Behandlung befinden.
- Gleichzeitige Behandlungsangebote von Sucht und psychischen Krankheiten wie Depression oder Angststörungen muss zur Normalität werden.
- Harm Reduction-Maßnahmen müssen ausgebaut werden und umfassen: Sauberen Konsumutensilien an Vergabestellen & Automaten, medikamentengestützte Behandlung mit Substituten und Diamorphin, Naloxon-Nasenspray, Informationsmaterial über Safer Use-Praktiken und ‑Material, die typische Wirkung und Dosierung von Substanzen sowie zum Umgang mit Notfällen.

Abschnitt II: Gesundheit
5: Safer Use in Clubs und Gaststätten entkriminalisieren
Der Straftatbestand der „Ermöglichung einer Gelegenheit zum Konsum“ muss gestrichen werden. Er fördert riskantes Konsumverhalten unter unhygienischen Bedingungen: Indem Gaststättenbetreiber*innen zur Durchsetzung des Drogenverbots genötigt werden, findet der Drogengebrauch an Orten wie Toiletten statt und Drogen konsumierenden Gästen droht oft Hausverbot. Das erschwert in Notfällen jedoch den rechtzeitigen Einsatz durch das Personal. Safer Use-Maßnahmen wie das Verteilen von sauberen Konsumutensilien und Unterlagen, gutes Licht und eine stressfreie Atmosphäre tragen zur Verbesserung der Sicherheit bei.
6: Drug-Checking flächendeckend für alle gängigen Substanzen etablieren
Organisationen und Personen, die im Auftrag von Konsumierenden Laboranalysen illegaler Drogen ermöglichen und durchführen, müssen von der Strafbarkeit ausdrücklich ausgenommen werden. Drug-Checking darf nicht mehr vom Willen der Landesregierungen zur Errichtung von Modellen innerhalb einer Grauzone abhängen, sondern muss flächendeckend, ohne Benachteiligung der ländlichen Regionen, etabliert werden.
7: Medizinische Anwendung illegaler Drogen stärken
Personen, die illegale Drogen nehmen oder in der Vergangenheit genommen haben, dürfen in der medizinischen Behandlung nicht mehr benachteiligt werden. Weder in der Psychotherapie noch in der Schmerz‑, Krebs- und HIV-Therapie darf es Einschränkungen durch das BtMG geben.
Die nach der BtMVV mögliche Konsiliarregelung, nach der niedergelassene Ärzt*innen bis zu 10 Patient*innen eine qualifizierte medikamentengestützte Behandlung (Substitutions- oder Diamorphinbehandlung) ermöglichen können, wird bislang kaum genutzt. Haus- und Fachärzt*innen sollten im Umgang mit BtM-Medikamenten bei Personen, die illegale Drogen nehmen, die benötigten Schulungen erhalten und die Lehrpläne im Studium müssen erweitert werden.
Das medizinische Potenzial illegaler Drogen darf nicht mehr aufgrund der Illegalität zurückgehalten und muss allen Menschen gleichermaßen zugänglich gemacht werden und nicht aufgrund des Generalverdachts auf die (erneute) Entwicklung einer Abhängigkeit zurückgehalten werden. Als eines der größten Produktionsländer legaler Medikamente, muss Deutschland seine internationale Verantwortung in der Bekämpfung der Schmerzmittelunterversorgung wahrnehmen.

Abschnitt III: Integration von Wissen
8: Jugendschutz mit Jugendlichen
Um Jugendliche besser zu schützen, müssen auch sie entkriminalisiert werden. Finanzielle Mittel, die zuvor in die Strafverfolgung geflossen sind, sollen stattdessen in Prävention, Intervention und andere Bereiche des Jugendschutzes investiert und ausschließlich von fachlich qualifizierten Sozialarbeitenden und ähnlichen Berufsgruppen durchgeführt werden. Von offizieller Seite braucht es mehr wirksame Maßnahmen zur Aufklärung, welche die vielfältigen gesundheitlichen Bedürfnisse vermitteln. Bevormundung und Abschreckungsversuche sind ungeeignet, um ein Vertrauensverhältnis aufzubauen und gesundes Risikobewusstsein zu vermitteln. Dazu ist es nötig, die Minderjährigen als Expert*innen ihrer Lebenswelten und Generation miteinzubeziehen.
9: Inklusion von Personen, die illegale Drogen nehmen, in der Forschung
Forschung über Drogengebrauch, Abhängigkeitserkrankungen und die Entwicklung von Hilfsangeboten und Therapieformen sollte den Qualitätsanspruch erfüllen, den Forschungsobjekten ihre aktive Beteiligung von der Beratung im Studiendesign bis hin zu Leitung von Untersuchungen zuzugestehen. Menschen, die illegale Drogen nehmen, bringen Wissen über Drogenkulturen, Gebrauchsmuster, Risiken sowie Strategien im Umgang mit Kriminalisierung und Stigmatisierung mit sich, das Außenstehenden kaum zugänglich ist. Personen, die illegale Drogen nehmen, sind nicht etwa aufgrund verminderter Fähigkeiten weniger in der Forschung vertreten, sondern infolge der strukturellen Benachteiligung durch Kriminalisierung.
Die umfassende Entkriminalisierung des Eigenbedarfs sollte außerdem darauf abzielen, unter der bestehenden Illegalität die Barrieren für die Forschung an den Substanzen zu verringern.
10: Nothing About us Without Us: Mitwirkung an allen Schritten im Reformprozess
Personen, die illegale Drogen nehmen, und denen von ihnen geführten Organisationen darf nicht mehr die Mitwirkung an der Gestaltung von Drogen- und Suchtpolitik abgesprochen oder die Notwendigkeit ihrer umfänglichen Beteiligung übersehen werden. Die Mitwirkung von Konsumierenden illegaler Drogen und Klient*innen des Hilfesystems bei der Bewertung und Weiterentwicklung von Drogen- und Suchtpolitik muss zum Selbstverständnis werden. Betroffene der Kriminalisierung und Stigmatisierung können am besten einschätzen, welchen Unterschied gesetzliche Änderungen auf ihre Lebensqualität und der Personen in ihr Umfeld haben. Die Beteiligung an Reformprozessen muss auch die Bereitstellung klarer, zugänglicher und glaubwürdiger Informationen über alle politischen oder rechtlichen Änderungen beinhalten.
11: Dauerhaftes Engagement einer unabhängigen, interdisziplinären Fachkommission
Für eine nachhaltige Verbesserung der drogen- und suchtpolitischen Strategien braucht es die gesetzliche Verankerung einer unabhängigen, interdisziplinären Fachkommission. Dieser Kommission müssen Personen, die illegale Drogen nehmen, angehören. Sie soll vom Bundesbeauftragten für Drogen- und Suchtfragen koordiniert werden.
Neben der Kommunikation mit der Öffentlichkeit und der Beratung der Bundesregierung, muss die Ausarbeitung von Konzepten zur legalen Regulierung zu den Kernaufgaben der Kommission gehören. Die Probleme des Drogenverbots gehen weit über die Kriminalisierung von Konsumierenden hinaus. Die Cannabis-Legalisierung ist ein wichtiger Schritt, um Mechanismen zum Verbraucher- und Arbeitsschutz durchsetzen zu können (keine Streckstoffe, Angaben über Wirkstoffzusammensetzung, Lieferkettentransparenz, Lenkung des Preises durch Steuern, Mindestlohn für Beschäftigte, etc.).
Der drogenpolitische Reformprozess muss fortwährend und unabhängig von eventuellen Regierungswechseln gewährleistet werden und nicht nur den Umgang mit illegalen Drogen, sondern auch als fachkundige Einschätzungen zur Alkohol‑, Tabak-/Nikotin‑, Lebensmittel- (Zucker) und Glücksspiel-Politik geben.

Abschnitt IV: Korrektur
12: Deeskalation & Wiederherstellung von Privatsphäre
Besondere polizeiliche Befugnisse, die im Rahmen der fruchtlosen Drogenbekämpfung gewährt wurden, sind wieder abzubauen, bspw. Stadtgebiete, die anlasslose Kontrollen erlauben („Gefahrengebiete”) aufzuheben oder das Postgeheimnis wiederherstellen.
Entsprechend:
- Kein Abhören von Gesprächen und andere Überwachung ohne hinreichenden Verdacht auf geschäftsmäßiges Handeln
- Kein Einsatz von Drogenhunden ohne hinreichenden Verdacht auf profitorientiertes Handeln
- Keine Urinproben. Weder am Ausbildungs- oder Arbeitsplatz, noch nicht in Haft und auch nicht in Arztpraxen. Sondern nur wenn eine Urinanalyse von der betreffenden Person gewünscht wird.
Polizeischulungen über die heutige Kenntnisse zu Drogenkonsum, Drogenpolitik und Sucht in ihren Zusammenhängen mit Diskriminierung und Hasskriminalität sowie Bürgergespräche mit Konsumierenden können helfen, das Vertrauen wiederherzustellen.
13: Stopp der laufenden Verfahren, Löschung der Strafregistereinträge & Entschädigung
Eine umfassende Entkriminalisierung muss die Annullierung aktueller Verfahren und Wiedergutmachung aller früheren Verurteilungen und strafrechtlichen Sanktionen (Geld- und Haftstrafen) wegen konsumnaher Delikte umfassen.
Darüber hinaus braucht es Pläne für die Entschädigung und Wiedergutmachung sekundärer Sanktionen und monetär messbarer Schäden wie Folgen des Führerscheinentzugs (Ausbildungs-/Arbeitsplatzverlust), Kosten für MPU, Berufsverbote, Wohnungskündigungen (nach Hausdurchsuchungen) ebenso wie soziale, gesundheitliche und psychische Rehabilitierung.
Die Strafregistereinträge sind vollständig zu löschen.
Abschließend fordern wir eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Geschichte der Strafverfolgung und ihren Folgen für die Gesellschaft sowie der Drogengesetze im Allgemeinen in Deutschland.
Deine/Ihre Rechte
Die allgemeine Erklärung der Menschenrechte (1948)
Recht auf Privatsphäre
Artikel 12
Niemand darf willkürlichen Eingriffen in sein Privatleben, seine Familie, seine Wohnung und seinen Schriftverkehr oder Beeinträchtigungen seiner Ehre und seines Rufes ausgesetzt werden. Jeder hat Anspruch auf rechtlichen Schutz gegen solche Eingriffe oder Beeinträchtigungen.

UN-Sozialpakt Artikel 12 (1966)
Gesundheit
(1)
Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden auf das für ihn erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit an.
(2)
Die von den Vertragsstaaten zu unternehmenden Schritte zur vollen Verwirklichung dieses Rechts umfassen die erforderlichen Maßnahmen
- zur Senkung der Zahl der Totgeburten und der Kindersterblichkeit sowie zur gesunden Entwicklung des Kindes;
- zur Verbesserung aller Aspekte der Umwelt- und der Arbeitshygiene;
- zur Vorbeugung, Behandlung und Bekämpfung epidemischer, endemischer, Berufs- und sonstiger Krankheiten;
- zur Schaffung der Voraussetzungen, die für jedermann im Krankheitsfall den Genuss medizinischer Einrichtungen und ärztlicher Betreuung sicherstellen.

Nelson-Mandela-Regeln (2015)
Mindestgrundsätze der Vereinten Nationen für die Behandlung von Gefangenen
Regel 24
1.
Die gesundheitliche Versorgung von Gefangenen ist Aufgabe des Staates. Gefangene sollen den gleichen Standard der Gesundheitsversorgung erhalten, der in der Gesellschaft verfügbar ist, und sollen kostenfrei und ohne Diskriminierung aufgrund ihrer Rechtsstellung Zugang zu den notwendigen Gesundheitsdiensten haben.
2.
Die Gesundheitsdienste sollen in enger Beziehung zum allgemeinen öffentlichen Gesundheitswesen stehen und so organisiert sein, dass die Kontinuität der Behandlung und Versorgung, einschließlich bei HIV, Tuberkulose und anderen Infektionskrankheiten sowie bei Drogenabhängigkeit, gewährleistet ist.
Regel 25
1.
In jeder Vollzugsanstalt muss ein Gesundheitsdienst zur Verfügung stehen, der die Aufgabe hat, die körperliche und psychische Gesundheit der Gefangenen zu evaluieren, zu fördern, zu schützen und zu verbessern, unter besonderer Berücksichtigung von Gefangenen mit speziellem Versorgungsbedarf oder mit gesundheitlichen Problemen, die ihre Resozialisierung beeinträchtigen.
2.
Der Gesundheitsdienst hat aus einem ausreichend besetzten interdisziplinären Team mit qualifiziertem Personal zu bestehen, das in voller ärztlicher Unabhängigkeit handelt und in dem eine ausreichende Anzahl von Fachkräften auf dem Gebiet der Psychologie und der Psychiatrie vertreten ist. Die Versorgung durch einen qualifizierten Zahnarzt ist allen Gefangenen zu gewährleisten.

WHO & UNODC: International Standards for the Treatment of Drug Use Disorders (2020)
Principle 2: Ensuring ethical standards of care in treatment services
2.1
In all cases, treatment services for drug use disorders should respect the human rights and dignity of patients and never use humiliating or degrading interventions.
2.2
The patients should grant informed consent before treatment begins and have a guaranteed option to withdraw from treatment at any time.
2.3
Patient data should be strictly confidential. Circumventing the confidentiality of health records in order to register patients entering treatment should be prohibited. Legislative measures, supported by appropriate staff training and service rules and regulations, should ensure and protect the confidentiality of patient data.
2.4
Staff of treatment services should receive proper training in the delivery of treatment in full compliance with ethical standards and human rights principles, and show respectful, non-stigmatizing and non-discriminatory attitudes towards service users.
2.5
Service procedures should require staff to adequately inform patients of treatment processes and procedures, including their right to withdraw from treatment at any time.
2.6
Any research conducted in treatment services involving patients should be subject to the review of human research ethical committees. Ethical committees are encouraged to consider the opinions of people who have experienced drug use and drug treatment and are recovering from drug use disorders. The participation of patients in the research should be strictly voluntary, with informed written consent obtained in all cases.
2.7
Ethical standards of care in treatment services should apply to all populations with special treatment and care needs, without discrimination.

Warum nehmen Menschen Drogen?
Drogengebrauchsmuster variieren von Person zu Person, von Zeit zu Zeit und Kontext zu Kontext. Verschiedene Motivationen können für alle, eine oder mehrere psychoaktive Substanzen zutreffen.
- Religiös, rituell, zu feierlichen Anlässen
- Probierkonsum, Erstes Kennenlernen
- Experimentell, Freude am Entdecken verschiedener Wirkungen
- Instrumentell, zweckmäßig (z.B. zur Schmerzlinderung, Verbesserung des Schlafes, Senkung von Hemmschwellen, Leistungs- oder Luststeigerung)
- Medizinisch (zur Behandlung von Krankheiten oder Linderung von Symptomen/ Medikamente)
- Freizeitgebrauch (z.B. das Feierabendbier, Abschalten am Wochenende)
- Anpassung, Veränderung von Drogenwirkungen (gezielter Mischkonsum)
- Verbesserung von Geselligkeit
- Abhängig (zur Vermeidung von Entzugssymptomen)
Daneben gibt es die Entscheidung oder Motivation, zeitweise oder grundsätzlich den Gebrauch psychoaktiven Substanzen nicht wahrzunehmen. Insbesondere der gesellschaftliche Umgang mit Alkohol schafft einen Rechtfertigungsdruck, der eine aktive Abgrenzung oft erst erforderlich macht.
Drogengebrauch geht mit verschiedenen Risiken einher, die sich jedoch durch Safer Use-Maßnahmen reduzieren oder minimieren lassen.
Die letzten 120 Jahre der Prohibitionsgeschichte haben gezeigt, dass sich der Drogengebrauch von Menschen nicht verhindern lässt und der staatlichen „Drogenbekämpfung“ die Professionalisierung illegaler Strukturen gefolgt ist. In dieser Doku des SWR und Simplicissimus wird die Drogenpolitik mit Beiträgen von deutschen Wissenschaftlern beleuchtet.

Müssen wir junge Menschen nicht vor Drogen schützen?
In Artikel 33 der UN-Kinderrechtskonvention haben die Vertragsstaaten (also auch Deutschland) 1989 beschlossen, “alle geeigneten Maßnahmen einschließlich Gesetzgebungs‑, Verwaltungs‑, Sozial- und Bildungsmaßnahmen [zu treffen], um Kinder vor dem unerlaubten Gebrauch von Suchtstoffen und psychotropen Stoffen […] zu schützen und den Einsatz von Kindern bei der unerlaubten Herstellung dieser Stoffe und beim unerlaubten Verkehr mit diesen Stoffen zu verhindern.”
Und ja, das finden wir auch. Jugendlicher Drogengebrauch ist besonders riskant. Solange sich das Gehirn noch in der Entwicklung befindet, ist es besonders empfindlich für Störungen. Ob legal oder illegal, der Jugendschutz muss verbessert werden und sich an den tatsächlichen Bedürfnissen und Rechten von Minderjährigen und nicht idealistischen Wunschvorstellungen von Erwachsenen orientiert.
Die Strafverfolgung Minderjähriger schreckt nicht vor dem Konsum ab, aber verhindert effektive Aufklärung und Bildung über Drogenkonsum.
Für manche kann übermäßiger Drogenkonsum in jungen Jahren unbewusst als Bewältigungsmechanismus dienen. Dabei wollen junge Konsument*innen zum Beispiel Probleme der sozialen Benachteiligung, aber auch alltägliche Probleme wie Streit mit den Eltern oder Liebeskummer verarbeiten. Die darunterliegenden gesellschaftlichen und persönlichen Ursachen für vorzeitigen Drogenkonsum werden durch Strafverfolgung nicht behoben. Im Gegenteil, sie werden verschlimmert.
Wenn Drogenkonsum regelmäßig und problematisch wird, fällt es gerade Jugendlichen aus Angst vor den rechtlichen Konsequenzen schwer darüber zu sprechen. Durch die Kriminalisierung wird Prävention und Intervention an den Schulen erschwert. Die Realität junger Konsument*innen wird verdrängt und der gesundheitliche Aspekt von Prävention vernachlässigt.
Strafverfahren können zu gravierenden Einschnitten in der gesellschaftlichen und beruflichen Teilhabe führen. So trifft es auch schon junge Menschen, die bei einmaligem oder gelegentlichem Drogengebrauch „erwischt“ werden.
Die 13 Forderungen zur Entkriminalisierung betreffen in allen 4 Bereichen (Straffreiheit, Gesundheit, Integration von Wissen, Korrektur) Erwachsene und Minderjährige. Wir wollen jungen Menschen die Angst nehmen, in gefährlichen Situationen die Polizei oder andere Hilfe von Erwachsenen zu rufen. Wir wollen, dass sie sich nicht mehr mit Problemen verstecken, um sich vor Sanktionen zu schützen. Wir wollen die Barrieren, welche die Kriminalisierung zwischen Eltern und ihren Kindern aufgebaut hat, wieder abbauen.

Ressourcen
Berichte von Fachgruppen
- INPUD (International Network of People who Use Drugs):Drug Decriminalisation: Progress or Political Red Herring? (2021)
- Ana Liffey Drug Project:Decriminalisation – Insights for Advocates (2021)
- idpc (International Drug Policy Consortium):Decriminalisation of people who use drugs: A guide for advocacy (2022)
- idpc (International Drug Policy Consortium):Drug Policy Guide (2016)
- Deutsche Aidshilfe & Akzept e.V.:Leitbild Akzeptierende Drogenarbeit (2021)
- Schildower Kreis:Über Repression
- FES (Friedrich-Ebert-Stiftung):Entkriminalisierung und Regulierung (2013)
- Salazar et al.:Research led by people who use drugs: centering the expertise of lived experience (2021)
- Institut für Demokratie & Zivilgesellschaft:Diskriminierung und Hassgewalt gegen wohnungslose Menschen (2021)
- #MyBrainMyChoice-Blog:Berichte von drogenpolitischen Kommissionen
- #MyBrainMyChoice-Blog:Informationen und Argumente für und gegen Drug Checking
- #MyBrainMyChoice-Blog:Eine Auswahl an Informationen über Safer Use
- Junod et al.: Prise de position destinée aux professionnels de la santé: Traitement de la dépendance aux opioïdes: tests urinaires légitimes? (2022) (Link zur Studie und Deutschsprachige Zusammenfassung)
- UN Member States, WHO, UNAIDS, UNDP and leading human rights and drug policy experts:International Guidelines on Human Rights and Drug Policy (2020)
Menschenrechte & Internationale Richtlinien
- Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
- UN Sozialpakt:Artikel 12
- Mindestgrundsätze der Vereinten Nationen für die Behandlung der Gefangenen/Nelson-Mandela-Regeln
- UNODC & WHO: International Standards for the Treatment of Drug Use Disorders
- UN-Kinderrechtskonvention (Artikel 33)
Kontakt
Philine Edbauer
Co-Gründerin & Koordinatorin der #MyBrainMyChoice Initiative
Berlin
„Der meiste Drogengebrauch ist unproblematisch und für die Allgemeinheit selbst unter den aktuell illegalen und damit risikofördernden Bedingungen unsichtbar. Für alle sozialen und gesundheitlichen Probleme im Zusammenhang mit Drogengebrauch gibt es sozial- und gesundheitspolitische Lösungen. Die Strafverfolgung ist unnütz, greift in die Lebensqualität ein und ist eine Fehlinvestition von staatlichen Ressourcen, während Betroffene und Angehörige beschämt werden. Die Sorgen und Ängste rund um Drogen und Sucht sind groß – nicht zuletzt auch unter den Konsumierenden illegaler Drogen selbst. Diese wollen wir als zivilgesellschaftliche Projektgruppe und durch die Kampagne thematisieren und an politischen Lösungen mitarbeiten.“ (Zum Profil)
Elli Schwarz
Studentin & Mitstreiterin der #MyBrainMyChoice Initiative
Berlin, Glasgow
„Es braucht in Deutschland eine umfassende drogenpolitische Reform, um die Schäden aus 50 Jahren Drogenverbot wiedergutzumachen. Die gesetzliche Definition von Personen, die illegale Drogen nehmen, als Kriminelle erschwert beispielsweise den Jugendschutz. Die aktuellen Gesetze fokussieren sich darauf, ein Verhalten zu bestrafen und schaffen es nicht, Risiken beim Drogengebrauch von Minderjährigen zu reduzieren. Mit der Entkriminalisierungs-Kampagne wollen wir die öffentliche Debatte über Drogen- und Suchtpolitik unterstützen und den nötigen politischen Änderungsprozess anstoßen.“ (Zum Profil)
Ângela Novaes
Mitstreiterin der Entkriminalisierungs-Kampagne
München

Was kann ich tun?
Auch wenn sich Fachgruppen mittlerweile eindeutig gegen die Kriminalisierung ausgesprochen haben, sind die Ängste und Unsicherheiten in der Allgemeinheit groß. Wir müssen das gesellschaftliche Tabu durchbrechen und mit Menschen, mit denen wir sonst nicht ins Gespräch über illegale Drogen kommen, reden.
- Online: Verbreite die Forderungen in deinen Social Media-Kanälen. Verwende die Hashtags #DrugDecrim #MyBrainMychoice oder #MeinEigenbedarf, damit wir und andere deinen Beitrag finden können. Wir haben Material in verschiedenen Formaten vorbereitet, das du frei verwenden kannst.
- Offline: Überlege dir, mit wem in deinem Umkreis du über die Forderungen sprechen möchtest. Oder nur über eine oder mehrere davon. Im #MyBrainMyChoice-Blog haben wir verschiedene Themen aufbereitet, die weitere Argumente und Fachliteratur vorstellen.
- Abonniere den Newsletter, um über Neuigkeiten zur Kampagne und weitere Möglichkeiten zum Mitmachen informiert zu werden.
⬇️Aktuelles⬇️
Freiheit ohne Druck Podcast: „Entkriminalisierung von Personen, die illegale Drogen nehmen“ mit Philine Edbauer und Elli Schwarz, 06/2022
Nachtschatten Podcast: „Drogenpolitik – Was sich dringend ändern muss“ mit Philine Edbauer und Rüdiger Schmolke, 26.6.2022
Freiheit ohne Druck Podcast: „MEDIZINISCHE ANWENDUNG ILLEGALER DROGEN STÄRKEN“, 1.8.2022
Freiheit ohne Druck Podcast: „HARM REDUCTION UND SAFER USE-ANGEBOTE FLÄCHENDECKEND, ZIELGRUPPENSPEZIFISCH AUSBAUEN“, 15.8.2022
Freiheit ohne Druck Podcast: „KURSÄNDERUNG IN DER INVESTITIONSPOLITIK“, 29.8.2022
Freiheit ohne Druck Podcast: „DAUERHAFTES ENGAGEMENT EINER UNABHÄNGIGEN, INTERDISZIPLINÄREN FACHKOMMISSION“, 12.9.2022
Freiheit ohne Druck Podcast: „DEFINITION VON EIGENBEDARF FÜR ALLE ILLEGALEN DROGEN“, 10.10.2022
Freiheit ohne Druck Podcast: „DEFINITION VON ANGEMESSENEN GRENZWERTEN FÜR DEN STRASSENVERKEHR“, 24.10.2022
Freiheit ohne Druck Podcast: „SAFER USE IN CLUBS UND GASTSTÄTTEN ENTKRIMINALISIEREN“, 14.11.2022
Vortrag von Ângela, München, 31.12.2022