Das Gesetz kommt!
Am Freitag wurden mit der Entscheidung des Bundestags die 4 Millionen Menschen, die gelegentlich oder regelmäßig Cannabis nutzen, entlastet. Deutschland reiht sich international in die Länder ein, die den ausgedienten Status quo überwinden. (Mit Start des entkriminalisierten Besitzes und Eigenanbaus am 1. April, sofern die Innenminister der Bundesländer nicht für Verzögerungen sorgen, und dem Start der Anbau-Clubs am 1. Juli. Die Führerschein-Frage wird nun endlich geklärt, so schreibt es das Gesetz dem Verkehrsministerium vor, das nicht hätte abwarten müssen. Für laufende, nun als unrechtmäßig anerkannte Verfahren gilt Amnestie. Anträge auf Tilgung von Vorstrafen im Bundeszentralregister können gestellt werden. Das Gesetz im Überblick hier: FAQ Cannabisgesetz)
Aber: Der verfehlte Drogenkrieg wird weiter befeuert.
Der Haken ist, dass innenpolitisch schlechte Dinge reinverhandelt wurden. Die Polizei, die Staatsanwaltschaften und Gerichte haben also gar nicht so viel an ihrem Status quo zu verlieren. Es verschiebt und verändert sich wohl einiges, und mag sich für Akteur*innen der Strafverfolgung anfühlen wie ein Verlust ihrer Gewohnheiten, aber mit dem Gesetz werden neue Tatbestände (unübersichtliche örtliche Konsumverbote) und neue Arten des Strafens (Ordnungswidrigkeiten mit Geldbußen), um den verfehlten Drogenkrieg gegen den Handel weiter zu eskalieren, eingeführt. Die Polizeigewerkschaften haben die ganze Phase des Gesetzgebungsprozess lauthals mitdiskutiert und, so wie es sich liest, ganze Passagen im Interesse des Erhalts und der Ausweitung ihrer Macht und Befugnisse hineinlobbyiert.
Es mag sich für die Verteidiger der Strafverfolgung als Niederlage gegen Cannabis-Gebraucher*innen anfühlen, auf die nun nach Jahren bis hin zu Jahrzehnten der Kriminalisierung und Stigmatisierung endlich ein neues Leben ohne die Polizei im Nacken wartet. Aber den Behörden wurden mit dem Gesetz keine Ressourcen gestrichen. Sie werden sich nach einer Einfindungsphase neu zu orientieren wissen.
Deswegen liegt es in unserer Verantwortung, die dieses Wochenende gefeiert haben, für diejenigen, die das Gesetz zurücklässt, weiterzukämpfen. Der Drogenkrieg ist auch gegen den Handel kontraproduktiv, schädlich und trifft unverhältnismäßig stark marginalisierte und rassifizierte Mitmenschen, wir alle wissen das und daran wird das Gesetz nicht nur nichts ändern. Wir erwarten sogar Verschärfungen der strukturellen Ungleichheit, die die Drogenpolitik verursacht oder verstärkt. (Ausführungen dazu hier.) Ebenfalls ändert das neue Gesetz nichts an der polizeilichen Verfolgung und Bestrafung von Nutzer*innen anderer illegalisierter Substanzen. Aber es liegt nicht weniger in der Verantwortung derer, die die 4 Millonen Mitbürger*innen weiter kriminalisieren und stigmatisieren wollten, sich endlich für die fortlaufenden Schäden der Drogenpolitik zu interessieren. Wir waren in der Zivilgesellschaft zu wenige, um gegen die Verschärfung der Strafverfolgung im Namen der „Drogenbekämpfung“, die mit dem Gesetz gleichzeitig beschlossen wurde, aufmerksam zu machen. Wir haben seit letztem Sommer vor den „unbeabsichtigten Folgen“ gewarnt, aber es hat kaum wen interessiert und ohne öffentliches Interesse gibt es kein besseres Gesetz. (In der neuen Episode des Natürliche Ausrede-Podcasts, die wir vor eineinhalb Wochen aufgenommen haben, spreche ich mit dem Host über die Probleme des Gesetzes. – Es geht aber auch um unsere Vorfreude und unsere größeren drogenpolitischen Visionen.)
Drogenpolitik darf unter den deutschen Bürgerrechts-Aktivist*innen und ‑Organisationen nicht länger als vermeintliches Randthema übergangen werden.
Es braucht mehr Leute unter den politisch aktiven Menschen, die verstehen lernen, dass gesundheitspolitischer Fortschritt in der Drogenpolitik eng mit innenpolitischen Verschärfungen gegen marginalisierte Gruppen zusammenhängt. Überall in der Welt und auch hier. Das Problem ist lösbar, aber nicht solange die Beschäftigung mit der sicherheitspolitischen Rolle von Drogenpolitik von Bürgerrechts-Organisationen vernachlässigt wird. Kann dieses Gesetz ein Learning sein? Hört man auf den UN-Hochkommissar für Menschenrechte, der die Drogenpolitik in ihren Grundsätzen anprangert? Wie kommen wir dahin?
Die Vorfreude auf den 1. April muss nun überall hörbar werden!
Dieser Freitag hat gezeigt, dass sich Deutschland drogenpolitisch verändern kann. Ich hoffe, dass dies mehr Menschen ermutigt, zu ihrem Cannabis-Gebrauch zu stehen. Ich hoffe, dass es sich zeigt, dass der 1. April mit Vorfreude erwartet wird und sie nicht weiter hinter dem Schleier der Sorge vor Stigmatisierung verborgen bleibt. Wenn nicht mehr nur die stigmatisierten Aktivist*innen Vorfreude verbreiten, sondern sie jetzt mit etwas mehr Mut zur Ehrlichkeit und Offenheit überall dort verlautet wird, wo Cannabis gewertschätzt wird, also überall in allen Regionen, Kaffeeküchen, Gartenvereinen, Redaktionssitzungen und Familienfeiern, wo sich Erwartungshaltungen an die Politik bilden, dann wird es den Innenministern der Ländern Fahrwasser nehmen, sich weiter als Gegner des Gesetzes profilieren und den 1. April und 1. Juli über den Bundesrat hinausschieben zu wollen.
Die Aktenberge, vor denen die Justiz warnt, sind nicht das Problem der Betroffenen.
Aus der Justiz kamen zuletzt noch Warnungen vor dem hohen Arbeitsaufwand, die Amnestieregelung für die vielen Tausenden Menschen umzusetzen, deren Verfahren und Strafen aktuell laufen (über 300.000 Fälle wurden sogar genannt!). Die Behörden seien eh schon so überlastet, wie solle man so viele Aktenberge durcharbeiten. Der 1. April als Starttermin ginge zu schnell und vielleicht sei es eh besser, die Amnestie ganz sein zu lassen. Schade, wenn die Beendigung von Unrecht nicht als schöne Aufgabe begriffen wird. Man könnte als Chance betrachten, Menschen eine gute Nachricht zu überbringen und ein Stück von ihrem Leben wieder zurückzugeben, statt als Last. Mit den freiwerdenden Ressourcen aus der Strafverfolgung gegen 4 Millionen Bürger*innen sollte dies zu leisten sein.
Eine Woche zuvor:
Trotz aller innen-/sicherheitspolitischen Kritik, die ich im Gesetzgebungsprozess vermisst habe, wollte ich die Entkriminalisierung aber auf keinen Fall scheitern sehen. Am Montag vor der Abstimmung hatten Dr. Bernd Werse, Leiter des Centre for Drug Research in Frankfurt a.M., und ich zusammen mit Fachleuten aus verschiedenen Disziplinen der Wissenschaft und Hochschulehre einen Offenen Brief digital und per Post ans Parlament geschickt und zur Zustimmung zum Gesetz aufgerufen. Am Mittwoch, zwei Tage vor der Abstimmung, war der Offene Brief in Tagesschau, Zeit, im Regionalfernsehen und Online-Portalen. Dr. Bernd Werse und weitere Wissenschaftler*innen haben Interviews geben. (Die Liste der Unterzeichnenden und Presse-Echo finden sich hier). Das Gesetz wurde letztlich mit nur 4 SPD-Gegenstimmen verabschiedet, nachdem es eine Woche zuvor noch unklar war, ob die erwarteten, zweistelligen SPD-Gegenstimmen ausreichen könnten, das Gesetz doch noch kippen oder nur knapp durchkommen zu lassen. Ich freue mich, wenn wir auf den letzten Metern zur benötigten Klarheit über die interdisziplinäre, internationale und deutsche Erkenntnislage beitragen konnten.
Die namentliche Abstimmung und die Aufnahme der hitzigen Debatte können hier auf der Website des Bundestags nachgesehen werden.
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