Philine Edbauer: „Nach dem Gesprächstermin wissen wir nun, dass sich Daniela Ludwig nicht für eine unabhängige Fachkommission einsetzen wird. Eine Absage an Fachverbände, Suchthilfe, Wissenschaftler:innen, Aktivist:innen und Personen, deren Lebensläufe und Gesundheit durch die prohibitive Politik beeinträchtigt werden. Die letzten vier Monate haben uns jedoch gezeigt, dass wir uns mit gebündelten zivilgesellschaftlichem Engagement einmischen können. Die Strafverfolgung gegen Besitz und Handel richtet seit Jahrzehnten und weltweit katastrophale Schäden an. Es darf kein Tag vergehen, an dem wir uns nicht weiter für das Ende der Prohibition einsetzen.“
Berlin, 29.9.2020 – Die #mybrainmychoice Initiative hat sich heute Vormittag mit der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Daniela Ludwig, getroffen, um ihr 24.273 Unterschiften der Petition für eine grundlegend neue Drogenpolitik zu überreichen. Die Initiatorinnen fordern mit einem Netzwerk aus Fachleuten, Fachverbänden und Aktivist:innen die Einberufung einer unabhängigen und transdisziplinären Fachkommission zur Generalüberholung der deutschen Drogenpolitik. Expert:innen prangern die Drogenpolitik seit Jahrzehnten an, aber ihre Empfehlungen – etwa zur Reduzierung der Zahl der Drogentoten oder Verbesserung von Prävention – werden fortlaufend ignoriert. Die Petition wurde am 1. Juni zusammen mit zahlreichen Erstunterzeichner:innen gestartet. In einem Offenen Brief von Anfang August hatte die #mybrainmychoice Initiative zusammen mit Linken-Politiker Niema Movassat und dem Strafrechtsexperten und Psychotherapeuten Prof. Dr. Lorenz Böllinger an die Petition erinnert. Anfang September wurde die Anfrage der Initiative nach einem Termin zur Übergabe der Unterschriften nach zwei versäumten Fristen und Druck auf Twitter schließlich bestätigt.
Mit dem heutigen Übergabetermin beenden wir unsere 4‑monatige Kampagne. Unser Engagement setzen wir mit weiteren Aktionen fort und bleiben dazu mit dem Netzwerk für eine unabhängige Fachkommission in Verbindung. In unserem Linktree findet ihr weiterhin alle wichtigen Links zur Kampagne, unsere Debattenbeiträge und Streetart-Aktionen.
Aufnahmen und Berichte
Live-Übertragung vor dem Termin und nach dem Termin mit Philine Edbauer und Zhana Jung von der #mybrainmychoice Initiative
Die Meldung der Deutschen Aidshilfe: Keine neue Drogenpolitik mit dieser Bundesregierung
Der Kommentar von JES: Drogenbeauftragte lehnt Initiative für eine Fachkommission ab
Daniela Ludwigs Antwort auf den Gesprächstermin
Auf Anfrage von Change.org hat Daniela Ludwig am 7.10. ihre Antwort auf den Gesprächstermin mitgeteilt: Antwort von Daniela Ludwig
Statement der #mybrainmychoice Initiative
#mybrainmychoice wurde 2017 von Philine Edbauer und Julia Meisner als ehrenamtliche Initiative ins Leben gerufen. Sie organisieren Veranstaltungen, geben Workshops und schreiben Blog-Beiträge und Newsletter, um drogenpolitische Debatten zu vertiefen, Interessierte zu politisieren und drogenpolitischen Fortschritt zu unterstützen. Die Kampagne für eine neue Drogenpolitik ist ihre erste bundesweite Aktion. Ihre Aktivitäten gestalten sie zusammen mit einem losen Kreis an Mitstreiter:innen. Beim Gesprächstermin mit Daniela Ludwig zur Übergabe der Petition waren Co-Initiatorin Philine Edbauer und Unterstützerin Zhana Jung.
Philine Edbauer & Julia Meisner, Initiatorinnen der #mybrainmychoice-Kampagne: „Die Kriminalisierung von Besitz, Herstellung und Handel wird von Expert:innen der Drogenpolitikforschung national wie international nicht befürwortet. Tod und Leid in Verbindung mit Drogenkonsum sind mit einer wissenschafts- und realitätsbasierten Drogenpolitik vermeidbar. Tabu und Stigma bremsen jedoch dringend nötige Weiterentwicklungen aus und ermöglichen die Fortführung des schädlichen Betäubungsmittelgesetzes. Mit unserer viermonatigen Kampagne ist uns ein wichtiger Schritt gelungen, die drogenpolitische Debatte anzuregen, progressive Kräfte zu vernetzen und den Status quo herauszufordern. Fachverbände, Wissenschaftler:innen und Aktivist:innen haben sich unserer Forderung einer unabhängigen und transdisziplinären Fachkommission angeschlossen. Mit ihnen werden wir uns weiterhin für neue Wege in der Drogenpolitik einsetzen.“
Statements aus dem Netzwerk für eine Unabhängige Fachkommission
Ein wesentlicher Teil unserer Arbeit vor und nach Petitionsstart galt der Vernetzung mit drogenpolitischen Akteuer:innen in Wissenschaft, Parteien und Zivilgesellschaft. Wir haben ihre Statements in unseren Social-Media-Kanälen und auf unserer Website versammelt und verlinkt. Wir danken unseren Partner:innen für ihr Vertrauen und ihre Unterstützung! Wir freuen uns auf weitere gemeinsame Aktionen.
Schildower Kreis: „Eine unabhängige Fachkommission kann nicht nur sinnvolle Veränderungen vorschlagen, sondern auch deren Auswirkungen regelmäßig überprüfen und gemäß neuen Erkenntnissen anpassen. Dabei ist es entscheidend, auf eine Besetzung hinzuwirken, die wenig bis gar nicht parteipolitisch geprägt ist. Da in der Drogenpolitik interdisziplinär geforscht wird, muss eine Kommission entsprechend aufgestellt sein. Wir warnen vor der Fortführung des Abstinenzgebots und einer Pathologisierung unter einem ausschließlich medizinischen Fokus. Auch im diesjährigen Alternativen Drogen- und Suchtbericht, an dem diverse Mitglieder des Schildower Kreises maßgeblich beteiligt sind, wird – wie bereits in den vorigen Ausgaben – die Notwendigkeit einer Fachkommission betont. Die #mybrainmychoice Initiative hat mit ihrer Petition und ihrer wohlüberlegten Medienkampagne zusätzliche Aufmerksamkeit für den Reformbedarf geschaffen. Wir sind uns bewusst, dass für drogenpolitische Reformen das Bohren von äußerst dicken Brettern erforderlich ist, ohne dabei zu wissen, wie weit man vorgedrungen ist. Wir setzen unser Engagement für eine unabhängige Fachkommission ungebrochen fort.“
Rüdiger Schmolke, Vorstand akzept e.V. & Vorstand SONICS e.V.: „Dass wir eine konsequente Entkriminalisierung brauchen, um noch deutlich glaubwürdigere und effektivere Angebote machen zu können, ist inzwischen der jüngeren Generation der Sozial- und Drogenarbeiter*innen ebenso klar wie großen Teilen der Bevölkerung. Initiativen wie die Petition sind aber notwendig, um diese Ansätze ins Bewusstsein zu rücken und zu zeigen, dass wir alle aktiv dafür eintreten müssen, Alternativen in der Drogenpolitik möglich zu machen und endlich neue Wege zu gehen. Damit eine unabhängige Fachkommission einberufen wird und in der Regierungspolitik einen angemessenen Stellenwert erlangt, ist es nötig dranzubleiben und jede Möglichkeit zu nutzen, Entscheidungsträger*innen in Politik und Verwaltung von der Notwendigkeit eines grundlegenden Umdenkens mit Hilfe überparteilicher Expertise zu überzeugen.“
Lukas A. Basedow, Psychologe: „Die aktuelle Drogenpolitik verursacht nicht nur unnötiges Leid und Verlust von Menschenleben, sondern die Rechtsprechung behindert auch die Möglichkeit, illegalisierte Substanzen auf ihr volles medizinisches Potential, ihre Wirkweise und ihre Gefahren hin zu untersuchen. Dank der #mybrainmychoice-Kampagne wurden deutlich mehr Menschen auf die politische Lage aufmerksam gemacht. Sie hat darüber hinaus einen wichtigen Beitrag zur Vernetzung drogenpolitisch Interessierter und Akteure geleistet, die gleiche Ziele verfolgen und ähnliche Werte vertreten. Dieses Netzwerk wird auch zukünftig dem Austausch und der Zusammenarbeit zwischen den Disziplinen nützen. Ich freue mich darauf, mich auch weiterhin zu Fragen der psychologischen Forschung einzubringen.“
Students for Sensible Drug Policy (SSDP) Berlin: „Eine ergebnisoffene und auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhende Diskussion wird von Seiten der deutschen staatlichen Stakeholder leider noch nicht mitgetragen. Unserer Ansicht nach sollte ein Land wie Deutschland jedoch den Anspruch haben, bei globalen Umwälzungen eine Vorreiterrolle einzunehmen. Die rechtliche Neueinordnung von Cannabis ist international bereits auf dem Vormarsch. Hier kann Deutschland ohnehin „nur noch“ mitziehen. Allerdings wäre ein ganzheitlicher Ansatz im Sinne der menschenrechtlichen Dimension – nicht zuletzt als Beitrag zum Erreichen der UN Sustainable Developmnet Goals – ohnehin vielversprechender und könnte in seiner Signalwirkung wegweisend sein. Um diesem Ziel näherzukommen ist die Einberufung einer unabhängigen Fachkommission ein unerlässlicher erster Schritt.“
Danke an all unsere großartigen Mitstreiter:innen!!!
- Auf Twitter, auf Insta, auf Facebook, auf YouTube für euren Zuspruch und das unermüdliche Teilen; aber insbesondere an Twitter für das gemeinsame digitale Engagement ❤
- die Unterzeichner:innen und an euch, die die Petition in ihren Netzwerken oder auch finanziell beworben haben
- unsere Erstunterzeichner:innen und Partner:innen aus Parteien, Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Verbänden, Drogen- und Suchthilfe für euer Vertrauen und die Statements
- an Niema Movassat und Prof. Dr. Lorenz Böllinger für die Unterstützung beim Offenen Brief
- an Jörg Böckem für das Interview über Prävention und Sucht und an Liviu Alexandrescu für das Interview über Drogengebrauch im Öffentlichen Raum
- an JES für die Einladung zum Gedenk- und Protesttag und Beate Stör fürs Bereitstellen ihrer Rede und ihres Gedichts
- unsere Ansprecherpartnerinnen Penelope, Meike und Annika bei Change.org für ihre wertvollen Tipps
- an unsere Gegenleser:innen, insbesondere Elli
- an unsere #mybrainmychoice-Mistreiter:innen, insbesondere an Melissa für den Harm Reduction-Artikel, Niko für die Streetart-Aktionen zum Weltdrogentag und Overdose Awareness Day und Flo für das Design
- an die Autor:innen/Journalist:innen/YouTuber:innen für alle Video- und Textbeiträge über die Petition
- Last but not least, an die Crew, die uns heute zum Gesprächstermin begleitet hat. 🙂
Presse-Kontakt: Philine Edbauer
Philine Edbauer ist seit 2015 drogenpolitisch aktiv und rief 2017 zusammen mit Julia Meisner die Initiative #mybrainmychoice ins Leben. In der Kampagne für eine grundlegend neue Drogenpolitik betreute sie die Kooperationen und die politische Kommunikation. Zur Bio
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