Bei der #mybrainmychoice Initiative arbeiten wir daran, die gesamtgesellschaftliche Reichweite von Drogengebrauch und Drogenpolitik verständlicher und relevanter zu machen. Diese Rede bezieht sich auf das diesjährige Thema des Gedenktags „Menschenrechte, Wohnraum, Versorgungssicherheit“ und soll Zusammenhänge zwischen Drogengebrauch, Stigmatisierung von Armut und Stadtentwicklung verdeutlichen.
In Gesprächen über Leid und Tod in Verbindung mit Drogengebrauch hört man immer wieder: „Selbst Schuld. Wer dieses Risiko eingeht, Drogen zu nehmen, muss mit Problemen rechnen, weil doch bekannt ist, dass Drogen gefährlich sind. Selbst schuld, muss man alleine damit klarkommen. Das soll bloß nicht die Krankenkassen belasten.“
Diese individualistische Einstellung lenkt jedoch davon ab, dass die drogenpolitische Gestaltung Auswirkungen auf den Drogenkonsum hat, und momentan absolut fahrlässig handelt, indem verpasst wird, die Empfehlungen von Expert:innen der Drogenpolitikforschung, Suchthilfe und Pädagogik auf Basis von Gesundheitsschutz und Menschenrechten umzusetzen.
Drogen werden sowieso konsumiert, schon immer und in allen gesellschaftlichen Bereichen. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten der Harm Reduction – das heißt Drogenkonsumräume, Substitution, Drug Checking, Spritzenprogramme, Naloxon-Vergabe – die wirksam Leid und Tod in Verbindung mit Drogengebrauch vermindern. Diese werden aber in Deutschland nicht flächendeckend eingesetzt und da wo sie existieren, wurden sie hart gegen Widerstand von Politiker:innen, Journalist:innen und Anwohner:innen erkämpft.
Drogengebrauch ist aber nicht gleich Drogengebrauch. Solange er unauffällig ist und sich in Erwartung an die Leistungsfähigkeit, Geschwindigkeiten und Nützlichkeit eingliedert, wird nicht stigmatisiert und ausgegrenzt.
Einige Menschen sind von mangelhafter Drogenpolitik, dem schlechten Bild von Drogengebrauch und Ausgrenzung besonders betroffen, und zwar wenn das Stigma doppelt wirkt: Die Herabwertung und Ausgrenzung von Menschen die arm sind und Drogen nehmen. Die Betroffenen werden in ein gesellschaftliches Abhängigkeitsverhältnis hineindefiniert: Sie seien abhängig von dem Wohlwollen der „gesitteten, fleißigen Gesellschaft“ und somit zweitklassig und untergeordnet.
Währenddessen steigen nicht nur die Mieten, sondern auch die Umfelder der Wohnungen sollen „aufgewertet“ werden, um die Mietobjekte noch wertvoller zu machen. Sichtbare Armut und Drogengebrauch wirken in dieser Logik als wertmindernd. Diese Entwicklung steht im Widerspruch zum Bedarf an unkommerziellen Freiräumen, die keiner Profitlogik folgen und als solche die entsprechende Mieten nicht aufbringen können und verdrängt werden.
Das Zusammenspiel dieser Aspekte zeigt sich zum Beispiel im Frankfurter Bahnhofsviertel deutlich: In den 90ern wurden mit dem „Frankfurter Weg“ wichtige Fortschritte zur Nothilfe von insbesondere armen Drogengebraucher:innen erreicht. Dieser drogenpolitische Fortschritt ist aber gerade wieder einmal unter konservativ-neoliberalem politischen und medialen Beschuss, weil man sich sorgen macht, dass Investoren abgeschreckt würden. Die sie störenden Leute auf den Straßen sollen woanders arm sein als in der von ihnen beanspruchten Innenstadt. Das Motiv der kommerziellen Stadtentwicklung ist offensichtlich und wird auch gar nicht versucht zu verstecken – anstatt den Anspruch zu haben, Recht auf (Innen-)Stadt für alle zu verwirklichen und Armut und verfehlte Sozialpolitik zu überwinden. Maßnahmen, die Leid und Tod in Verbindung mit Drogengebrauch verhindern, müssen in Frankfurt am Main schon wieder verteidigt werden – anstatt dass sie in dieser Zeit weitergehend finanziert und ausgebaut werden.
Trotz besseren Wissens zur Leidvermeidung und Senkung von Todeszahlen sind wir seit Jahrzehnten mit repressiver Drogenpolitik konfrontiert. Eine grundlegende Neugestaltung der Drogenpolitik ist endlich nötig, die das Spektrum von Drogengebrauch an sich und in seinem sozialpolitischen und gesellschaftlichen Kontext begreift; es braucht eine Drogenpolitik, die im Sinne von Drogengebrauchenden und Suchtkranken gestaltet wird.
Im Juni haben wir von der #mybrainmychoice Initiative zusammen mit zahlreichen Mitstreiter:innen aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Politik unsere Petition für eine grundlegend neue Drogenpolitik ins Leben gerufen. In dieser fordern wir von der Drogenbeauftragten Daniela Ludwig und dem Gesundheitsminister Jens Spahn, eine Kommission aus Expert:innen der Drogenpolitikforschung, Suchthilfe und Pädagogik sowie Personen mit Konsum- und Suchterfahrung einzuberufen. Diese Kommission soll ein Konzept für eine neue deutsche Drogenpolitik erstellen, das im Anschluss umgesetzt wird. Für eine Drogenpolitik, die endlich das weltweite Scheitern der Kriminalisierung anerkennt, die auf Wissenschaft statt Parteiideologie basiert und die vor der sozialen Realität nicht mehr die Augen verschließt.
Niemand muss in Leid und Elend leben und sterben. Und weil wir in einer Gesellschaft leben, die sich durch Schuldzuweisungen aus der Verantwortung zieht, sich mit Drogenpolitik und Armut zu beschäftigen, betone ich: Niemand muss in Leid und Elend leben und sterben, auch nicht Menschen, die drogenabhängig sind.
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