Zum Inhalt springen

Bild: Rivage (Unsplash)

Maßregelvollzugsgesetz – Novellierung ja, aber in die richtige Richtung

Ein Kommentar von Ingo Ilja Michels

Dieser Artikel erschien zuerst im Drogenkurier, dem Magazin des JES-​Bundesverbands. Wir danken dem JES-​Bundesverband für die Erlaubnis zur Zweitveröffentlichung. Alle Ausgaben des Drogenkuriers und das Bestellformular fürs Abo finden sich hier. Alle Ausgaben stehen zudem kostenlos als PDF-​Download zur Verfügung. Dieser Artikel stammt aus Ausgabe 137, hier vollständig gelesen werden kann.


Die Bund-​Länder-​AG zur Prüfung des Novellierungsbedarfs des Maßregelvollzugs hat in ihrem Bericht vom 20. November 2021 festgestellt, dass es einen kontinuierlichen Anstieg der nach §64 StGB in der forensischen Psychiatrie untergebrachten Suchtkranken, hauptsächlich Opioidabhängigen, gibt, von 1.373 im Jahr 1995 auf mittlerweile 5.280 Personen in 2020.

Die zwangsweisen Behandlungen in psychiatrischen Einrichtungen haben immer mehr zugenommen. Es wird in dem Bericht aber nicht die Wirksamkeit der Therapie untersucht, sondern vorgeschlagen, die Maßregel auf die „tatsächlich behandlungsbedürften Personen zu konzentrieren“ und darunter werden die „therapierbereiten“ gezählt, was immer das heißen mag, um einem „Missbrauch“ der Maßregel zu begegnen.

Es wird unterstellt, dass es den meisten Menschen im 64er Bereich um „die Milderung einer hohen Freiheitsstrafe“ und eine vorzeitige Entlassung geht. Nach dem Gesetz soll in den Kliniken die gleichen Behandlungsstandards gelten wie in freiwilligen Therapien, aber warum in der Maßregel nach wie vor kaum eine Substitutionsbehandlung stattfindet, wird indes nicht hinterfragt, obwohl gerade in psychiatrischen Kliniken die fachlichen Standards der Behandlung einer Opioidabhängigkeit gelten müssen und die Zuständigkeit für den Maßregelvollzug nicht bei den Justiz‑, sondern bei den Gesundheits- und Sozialministerien liegt!

Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit wurde am 22. Juni 2023 eine Gesetzesänderung zum Maßregelvollzug verabschiedet, um die übervollen Einrichtungen zu „entlasten“ von therapieunwilligen „Patienten“, wie die Unterbrachten dort genannt werden.

Im Gesetz heißt es noch immer, dass der …

Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen“

… therapiert werden soll, wenn der zu einer Straftat führe, etwa Gewaltdelikten (insbesondere unter Alkoholeinfluss). Bei Opiatabhängigen reicht aber schon die mehrmalige Verurteilung wegen Verstoßes gegen das BtMG – und der liegt ja vor, wenn man wegen der Abhängigkeit weiterhin Heroin konsumiert.

Es darf bezweifelt werden, ob eine zwangsweise durchgeführte Behandlung ebenso erfolgreich ist wie eine freiwillige, auch wenn angewendete psychotherapeutische Methoden eigentlich sinnvoll sind. Wenn eine solche Behandlung aber nicht erfolgreich ist (und das bedeutet hier, dass eine dauerhafte Abstinenz erreicht ist) wird unterstellt, dass es sich um „therapieresistente“ Klienten mit „dissozialer Persönlichkeitsstruktur“ handele. Eine selbstkritische Betrachtung, dass ein Scheitern möglicherweise mit der Lebenssituation der betroffenen „Patienten“ handeln könnte und mit deren Kriminalisierung, weil sie eine verbotene Substanz konsumieren, findet leider kaum statt.

Die Gesetzesänderung, die beschlossen wurde, wird aber nur dazu führen, dass noch mehr jetzt noch im Maßregelvollzug untergebrachte Menschen in den Strafvollzug überführt werden, ohne dass dort ihre Suchterkrankung angemessen behandelt wird.


Über den Autor:

Dr. Ingo Ilja Michaels arbeitet am Institut für Suchtforschung der University of Applied Sciences in Frankfurt am Main und dort als International Coordinator of the EU Central Asia Drug Action Programme (CADAP).

Über den Drogenkurier:

Seit 1990 informiert das Magazin über aktuelle Entwicklungen in den Bereichen „Leben mit Drogen“, Medizin, Fortbildungen und Medien. Alle Ausgaben und weiteren Informationen sind hier kostenlos als PDF abrufbar und im Print-​Abo bestellbar.

Über den JES-​Bundesverband e.V.:

JES (Junkies, Ehemalige und Substituierte) ist ein bundesweites Netzwerk von Gruppen, Vereinen, Initiativen und Einzelpersonen, die sich unter dem gemeinsamen Dach des JES Bundesverbands für die Interessen und Bedürfnisse Drogengebrauchender Menschen engagieren. Weitere Infos hier

    Kommentare sind geschlossen, aber Trackbacks und Pingbacks sind möglich.