Dieser Artikel erschien zuerst im Drogenkurier, dem Magazin des JES-Bundesverbands. Wir danken dem JES-Bundesverband für die Erlaubnis zur Zweitveröffentlichung. Der Originaltitel ist „Den Zugang zur Substitution erleichtern“. Alle Ausgaben des Drogenkuriers und das Bestellformular fürs Abo finden sich hier. Alle Ausgaben stehen zudem kostenlos als PDF-Download zur Verfügung. Dieser Artikel stammt aus Ausgabe 137, hier vollständig gelesen werden kann.
Die Behandlung mit der Substanz Diamorphin muss als gleichwertige und gleichrangige Form der Substitutionstherapie anerkannt werden. Das fordern Deutsche Aidshilfe (DAH), Akzept e.V. und der JES-Bundesverband.
Seit mittlerweile mehr als zehn Jahren ist in Deutschland die Behandlung der Opioidabhängigkeit mit Diamorphin in der Regelversorgung möglich. Angesichts der positiven Erfahrungen mit dem halbsynthetischen Opioid in puncto Wirksamkeit und Sicherheit ist eine Überarbeitung der aktuellen Rahmenbedingungen für die Verschreibung von Substitutionsmitteln mit Diamorphin längst überfällig. In einer gemeinsamen, an das Bundesgesundheitsministerium gerichteten Stellungnahme fordern die DAH, akzept e.V. und der JES-Bundesverband daher konkrete Änderungen in der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV).
Die Behandlung mit Diamorphin macht gerade mal einen Anteil von 1,8 % aus. Dabei verzeichnet sie große Erfolge hinsichtlich der körperlichen und psychischen Stabilisierung von opioidabhängigen Menschen.
Hohe Hürden für Patient*innen
Gefordert wird daher unter anderem, das Mindestalter für eine Diamorphinbehandlung von bislang 23 auf 18 Jahre zu senken. Nicht nachvollziehbar und weder medizinisch noch wissenschaftlich begründet ist zudem die derzeit vorgeschriebene mindestens fünfjährige Heroinabhängigkeit als Zugangskriterium zur Diamorphin-Behandlung.
Gleiches gilt auch für die Einschränkung, dass Patient*innen überwiegend intravenös konsumiert haben müssen. Angesichts der veränderten Konsumformen – viele Konsument*innen rauchen mittlerweile Heroin – ist diese Zugangsbedingung veraltet. Darüber hinaus empfehlen die Autor*innen der Stellungnahme, eine Überführung medizinischer und therapeutischer Inhalte in die Richtlinien der Bundesärztekammer zu prüfen. Es gilt daher, die bestehenden Richtlinien dahingehend anzupassen, dass alle Patient*innen, die den Wunsch haben mit Diamorphin behandelt zu werden und bei denen die medizinische Notwendigkeit durch die Ärztin/den Arzt festgestellt wird, einen Zugang zu ermöglichen.
1.
Aktuelle Situation:
Der Patient/ die Patientin muss fünf Jahre heroinabhängig sein. Vorher kann keine Aufnahme ins Programm erfolgen.
Änderungsbedarf:
Der Passus soll ersatzlos gestrichen werden.
Begründung:
Die Voraussetzung einer fünfjährigen Heroinabhängigkeit, als ein Zugangskriterium zur Diamorphinbehandlung, lässt sich weder medizinisch noch wissenschaftlich begründen. Vor dem Hintergrund der schnellen negativen Entwicklungsverläufe, die mit dem Konsum von illegalen Opioiden verbunden sein können (siehe DRUCK Studie), lässt sich eine mindestens fünfjährige Heroinabhängigkeit nicht begründen.Schwere gesundheitliche Schäden und negative soziale Folgen, sind auch bei Konsument*innen sichtbar, die weniger als 5 Jahre abhängig sind.
2.
Aktuelle Situation:
Das 23. Lebensjahr muss vollendet sein.
Änderungsbedarf:
Das 18. Lebensjahr muss vollendet sein.
Begründung:
Dieser Punkt unterstellt der Opioidabhängigkeit einen linearen Erkrankungsverlauf dessen Schwere sich an einem „Mindestalter“ messen lassen soll. Das ist nicht nachvollziehbar. Richtig ist, dass Patient*innen deutlich später als bei Vollendung des 23. Lebensjahres die Substitutionsbehandlung wahrnehmen. Die Gründe hierfür liegen allerdings eher im mit dem Outing verbundenen Maß an Stigma und Diskriminierung sowie der Angst vor Bestrafung.
Die Behandlungsform sollte allen erwachsenen Heroinkonsument*innen eröffnet werden.
3.
Aktuelle Situation:
Es müssen zwei erfolglos beendete Behandlungen vorliegen, davon eine mindestens sechsmonatige Substitutionsbehandlung einschließlich psychosozialer Betreuungsmaßnahmen (PSB).
Änderungsbedarf:
Der Passus soll ersatzlos gestrichen werden.
Begründung:
Hiermit wird die Diamorphinbehandlung als Second-Line-Behandlung zementiert. Diese Indikation macht eine Aufnahme von Patient*innen ohne vorherige Substitutionsbehandlung unmöglich. Dies unabhängig vom mentalen und physischen Zustand. Im Hinblick auf eine individuelle Behandlungsplanung, sollten alle Behandlungsoptionen zu jedem Zeitpunkt zur Verfügung stehen.
4.
Aktuelle Situation:
Patient*innen müssen unter einer oder mehreren schweren somatischen und psychischen Funktionsstörungen leiden.
Änderungsbedarf:
(„…Defizite im medizinischen, psychologischen oder sozialen Bereich aufweisen, die auf den Drogenkonsum zurückzuführen sind“).
Begründung:
Die Verknüpfung und Forderung einer „schweren psychischen und somatischen Störung“ setzt die damaligen Kriterien der „Heroinstudie“ aus nicht nachvollziehbaren Gründen herauf. Denn ab wann eine psychische oder somatische Suchtfolgestörung als schwerwiegend einzustufen ist, bleibt in der Einschätzung subjektiv und führt zu einer Verunsicherung in der Begründung der Indikationsstellung.
5.
Aktuelle Situation:
Patient*innen müssen zum Zeitpunkt der Aufnahme in die Diamorphinbehandlung einen überwiegend intravenösen Konsum betreiben.
Änderungsbedarf:
Im Hinblick auf die Vorbereitungen der Einführung einer Diamorphintablette und den Erkenntnissen der Veränderung von Applikationsformen sollte dieser Punkt ersatzlos gestrichen werden.
Begründung:
Wir stehen wir kurz vor der Zulassung von Diamorphin in Tablettenform. Zudem haben sich die Applikationsformen von illegalem Heroin in den letzten 10 Jahren maßgeblich verändert. Heute ist der inhalative Konsum die vorrangig praktizierte Konsumform. Sollte man diesen Punkt beibehalten würde der Mehrzahl der Konsument*innen der Zugang verweigert.
6.
Aktuelle Situation:
In den ersten 6 Monaten der Behandlung müssen Maßnahmen der psychosozialen Betreuung stattfinden.
Änderungsbedarf:
In den ersten 6 Monaten einer Diamorphinbehandlung ist eine psychosoziale Betreuung verpflichtend. Sollte eine PSB nicht möglich sein, soll eine Diamorphinbehandlung dennoch möglich sein. Psychosoziale Begleitmaßnahmen sollen nach Behand-lungsbeginn zeitnah ermöglicht werden.
Begründung:
Die Richtlinien sehen die PSB unabhängig von ihrer Verfügbarkeit und Finanzierung als Pflichtmaßnahme vor. Für den Fall, dass eine PSB sich zum Behandlungsbeginn nicht realisieren lässt, sollte eine Diamorphinbehandlung dennoch möglich sein.
7.
Aktuelle Situation:
Die Behandlung mit Diamorphin ist nach jeweils spätestens 2 Jahren Behandlungsdauer daraufhin zu überprüfen, ob die Voraussetzungen für die Behandlung noch gegeben sind und ob die Behandlung fortzusetzen ist. Die Überprüfung erfolgt, indem eine Zweitmeinung eines suchtmedizinisch qualifizierten Arztes, der nicht der Einrichtung angehört, eingeholt wird.
Änderungsbedarf:
Der Gesamtpassus soll ersatzlos gestrichen werden.
Begründung:
Vor dem Hintergrund, dass es sich hier um Patient*innen handelt, die bereits von anderen suchtmedizinischen Behandlungen nicht ausreichend profitiert haben und in der Regel seit vielen Jahren Opioide konsumieren sowie neben körperlichen auch psychische Erkrankungen aufweisen, erschließt sich nicht, dass die Behandlung mit Diamorphin, anders als eine Behandlung mit oralen oder subkutan zu verabreichenden Medikamenten zur Substitution nach 2 Jahren auf ihren Fortbestand überprüft werden soll.
Über den Autor:
Dirk Schäffer arbeitet als leitender Referent für Drogen und Strafvollzug bei der Deutschen Aidshilfe (DAH).
Über den Drogenkurier:
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Über den JES-Bundesverband e.V.:
JES (Junkies, Ehemalige und Substituierte) ist ein bundesweites Netzwerk von Gruppen, Vereinen, Initiativen und Einzelpersonen, die sich unter dem gemeinsamen Dach des JES Bundesverbands für die Interessen und Bedürfnisse Drogen gebrauchender Menschen engagieren. Weitere Infos hier
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