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Bild: Priscilla du Preez (Unsplash)

Drogenpolitik: Was Expert*innen sagen

Auf dieser Seite werden deutsch- und englischsprachige Berichte und Stellungnahmen mit Beurteilungen der aktuellen Drogenpolitik und mit politischen Handlungsempfehlungen von interdisziplinär und unabhängig arbeitenden Kommissionen vorgestellt. Weiter unten befinden sich Berichte von Forschungsgruppen und Fachverbänden. [zuletzt aktualisiert am 9.9.2021]

Canadian Expert Task Force on Substance Use, 2021

Canadian policy on substances must change significantly to address and remove structural stigma, centre on the health of people who use substances, and align with current evidence. People who use substances are not the problem. Social, historical, and political systemic forces (including colonisation, social inequity, and racism) and inadequate policies (such as criminalization of simple possession, an extremely toxic unregulated illegal drug market, and inadequate regulation of alcohol) are the fundamental drivers behind toxicity deaths and many other substance use harms. New solutions, beginning with legal regulation, should focus on the social determinants of health, public health, and the human rights of people who use substances. The development and implementation of these solutions must involve people with lived and living experience and the organizations that represent them, given that they are the ones that will be most affected.“ Zum Bericht

The Lancet Commission, 2016

Drug policy that is dismissive of extensive evidence of its own negative impact and of approaches that could improve health outcomes is bad for all concerned. Countries have failed to recognise and correct the health and human rights harms that pursuit of prohibition and drug suppression have caused, and, in doing so, neglect their legal responsibilities. They readily incarcerate people for minor offences but then neglect their duty to provide health services in custodial settings. They recognise uncontrolled illegal markets as the consequence of their policies, but do little to protect people from toxic, adulterated drugs that are inevitable in illegal markets or the violence of organised criminals, which is often made worse by policing. They waste public resources on policies that do not demonstrably impede the functioning of drug markets, and miss opportunities to invest public resources wisely in proven health services for people often too frightened to seek services.“ Zum Bericht

Berichte der Schweizer Fachkommission, 2021

Prohibition verursacht erhebliche gesundheitliche und sicherheitspolitische Kollateralschäden. Dabei werden schwer kontrollierbare Schwarzmärkte gebildet und gestärkt. Kriminelle Organisationen und korrupte Regimes oder Terrorgruppen werden finanziert. Der Markt wird dadurch der staatlichen Besteuerung entzogen. Grosse Gruppen der Bevölkerung werden unnötig kriminalisiert und es entstehen hohe polizeiliche und justizielle Kosten. Konsumierende werden gesundheitlichen Risiken ausgesetzt, da eine Kontrolle der Inhaltsstoffe psychoaktiver Substanzen sowie gesundheitsfördernde Massnahmen und Präventionsbemühungen verhindert beziehungsweise erschwert werden.“ (S. 6, „10 Jahre Betäubungsmittelgesetz – Überlegungen für die Zukunft“) Zum Bericht /​ Alle Berichte

Deutsche Drogen- und Suchtkommission, 2002

Als unstreitig kann aus Sicht der Kommission gelten, dass es die Aufgabe der staatlichen
Organe ist, die Rahmenbedingungen für den Gesundheitsschutz und für eine größt mögliche Freiheit der Bürgerinnen und Bürger zu gestalten.“ (S.3) Hintergrundinformationen und Zusammenfassung /​ Zum Bericht

Global Commission on Drug Policy, seit 2011 (EN & teilweise DE)

Political reports focus on drug policy reform generally and provide recommendations to countries in areas such as decriminalization; health and security; alternatives to incarceration for low-​level people involved in the production, transport or selling of drugs; more intelligent measures against violent organizations and policy innovations such as legal, regulated markets. Technical reports have included the intersection between the war on drugs and HIV/​AIDS; drug control, public health and hepatitis C; and the lack of access to controlled medicines.“ Zu den Berichten


Drogenpolitische Fachgremien in Deutschland:

Zusammen mit Fachverbänden, Aktivist:innen, Wissenschaftler:innen und Partei(grupp)en und 24.273 Unterzeichner:innen haben wir 2020 der Drogenbeauftragten eine Petition mit der Forderung einer unabhängigen Fachkommission überreicht. Das erneute, offizielle Engagement einer unabhängigen Fachkommission wird seit mehreren Jahren von Expert:innen der Drogenpolitikforschung gefordert (siehe bspw. Alternative Drogen- und Suchtberichte), sei es wieder in Angliederung an die Drogenbeauftragte, an den Bundestag als Enquete-​Kommission oder im Austausch gegen das Amt der Drogenbeauftragten. 2015 wandten sich 123 Strafrechtsprofessor:innen an den Bundestag, da aus „strafrechtswissenschaftlicher Sicht als auch aufgrund empirischer Forschungsergebnisse die dringende Notwendigkeit [besteht], die Geeignetheit, Erforderlichkeit und normative Angemessenheit des Betäubungsmittelstrafrechts zu überprüfen und gegebenenfalls Vorschläge zu Gesetzesänderungen aus solcher Evaluation abzuleiten“. 

Das Betäubungsmittelgesetzes (BtMG, seit 1972 bzw. zuvor Opiumgesetz seit 1930) schwebt seit jeher im evidenzlosen Raum ohne Nachweise für irgendwelche Vorteile. Gleichzeitig steigen Jahr für Jahr der Verfolgungsdruck (2020 über 360.000 registrierte „Straftaten“) und die Todesfälle (2020: 1.581). Die Handlungsempfehlungen der Kommission von 2002 zur Verbesserung der Prävention wurden nicht umgesetzt. Die Kleiber-​Studie zu Cannabis (1997) und Untersuchung zu Cannabis-​Legalisierungen des Wissenschaftlichen Dienstes (2019) werden von CDU/CSU-Politiker:innen mehrheitlich ignoriert. Selbst der teils problematische Cannabis-​Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von 1994 weist darauf hin, dass der Gesetzgeber „seine Einschätzungen und Prognosen, die er dem Erlaß eines Gesetzes zugrunde gelegt habe, fortlaufend zu überprüfen und das Gesetz gegebenenfalls geänderten Erkenntnissen anzupassen hat“.“ Das Cannabis-​Verbot liegt dem Bundesverfassungsgericht aktuell erneut zur Prüfung vor. [Die vom Bundesministerium für Gesundheit beauftragte Evaluation der Auswirkungen des 2016 eingeführten Neue-​Psychoaktive-​Substanzen-​Gesetzes (NpSG) ergab weder eine Verringerung der Verfügbarkeit noch eine Verringerung der Konsumhäufigkeit, aber eine Verschlechterung der Qualität. (Nachtrag vom 13.8.2021)]

Alle zivilgesellschaftlichen Bestrebungen zur evidenzbasierten Reform der Drogen- und Suchtpolitik sind bisher erfolglos an den Drogenbeauftragten und Regierungsparteien abgeprallt, aber mit jedem Mal wird die ablehnende Haltung sichtbarer und die öffentliche Aufmerksamkeit für die Unwissenschaftlichkeit steigt. Mit den Berichten von anderen Kommissionen muss das Rad nicht neu erfunden werden, aber eine offizielle Kommission kann unter Prüfung von Erfahrungen anderer Länder Empfehlungen für die Bundesregierung erarbeiten und den öffentlichen Diskurs mit fachlichen Beiträgen informieren (wie in der Schweiz). Aktuell prägt die Bundesdrogenbeauftragte die öffentliche Meinung, die als CSU-​Politikerin Interessenskonflikte hat, die mehr als deutlich geworden sind – ebenso wie bei ihren Vorgängerinnen.


Drogenpolitische Berichte von Forschungsgruppen und Fachverbänden:

The Impact of Global Drug Policy on Women, 2020 (EN)

Examining the impact of drug criminalisation on a previously overlooked demographic, this book argues that women are disproportionately affected by a flawed policy approach.“ E‑Book (Open Access) /​ Print

Transform Foundation: How to regulate stimulants, 2020 (EN)

The ‘war on drugs’ has been a global disaster leading to violence, exploitation and record numbers of drug-​related deaths. We all recognise the need to do things differently. In this book we show why the responsible regulation of stimulant drugs is the only realistic alternative, and set out the practical steps to getting the market under control.“ Zum Handbuch

Alternativer Drogen- und Suchtbericht, seit 2014 (DE)

Es fehlt eine wissenschaftlich fundierte Gesamtstrategie mit klar definierten Zielen. Hoch wirksame Methoden der Prävention beziehungsweise zur Reduzierung von Gesundheitsrisiken beim Drogenkonsum kommen teilweise nicht zur Anwendung. Der Alternative Drogen- und Suchtbericht will dabei helfen, Erkenntnisse der Sucht- und Präventionsforschung in dauerhaft erfolgreiche Maßnahmen zu übersetzen und Wege zu einer effektiveren, erfahrungswissenschaftlich untermauerten Drogenpolitik aufzeigen.“ Zu den Berichten

INPUD: Drug Decriminalisation – Progress or Political Red Herring?, 2021 (EN)

Decriminalisation is often discussed as if there is only one model, leading to a view that decriminalisation anywhere equals progress. However, there are many different models of decriminalisation in operation, all with different impacts. This report was published because we believe current reforms have not gone far enough. This situation means that in the overwhelming majority of countries, people who use drugs continue to be criminalised, punished, and stigmatised despite decriminalisation. Furthermore, no existing reviews of decriminalisation models have specifically included the perspective of people who use drugs in their analysis, a glaring oversight which reflects the historical exclusion of the voices of people who use drugs within policy discussions.“ Zum Bericht

Aidshilfe und Akzept: Leitbild akzeptierende Drogenarbeit, 2021 (DE)

Ein akzeptierender Ansatz berücksichtigt die Heterogenität der Drogen Gebrauchenden, z.B. mit Blick auf ihre höchst unterschiedlichen Gebrauchsmuster, die in vielen Fällen harmlos sind, jedoch auch sozial und gesundheitlich schädlich sein können. Das heißt: Maßnahmen gegen verantwortungsbewussten Drogengebrauch sehen wir als unnötig und nicht einem humanistischen Wertesystem entsprechend an, und selbst ein schädlicher Gebrauch kann kontrolliert stattfinden. Auch in der Gruppe der sozial oder gesundheitlich schädlich Gebrauchenden muss differenziert werden, etwa hinsichtlich individueller, soziokultureller oder auch genderspezifischer Kriterien.“ Zum Leitbild


Beitrag von Philine Edbauer

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