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Bild: Adrian Curiel (Unsplash)

Die Stellungnahme der Drogen- und Suchtkommission von 2002

Die Einberufung einer Drogen- und Suchtkommission ist keine neue Idee. Bereits 1999 wurde ein solches Organ – interdisziplinär zusammengesetzt aus 12 Wissenschaftler:innen – konstituiert und damit beauftragt, Empfehlungen für eine verbesserte Suchtprävention auszuarbeiten. Die (teils stark kritischen) Ergebnisse wurden 2002 in Form einer längeren Stellungnahme vorgelegt und zunächst scheinbar wohlwollend mit einer Pressemitteilung seitens der damaligen Gesundheitsministerin, Ulla Schmidt (SDP), und Bundesdrogenbeauftragten, Marion Caspers-​Merk (SPD), angekündigt. Damit allerdings endete auch schon die Aufmerksamkeit, die den Empfehlungen entgegengebracht werden sollte.

Die Stellungnahme (im Folgenden: der Bericht) der Drogen- und Suchtkommission ist über die Webseiten der Bundesregierung nicht mehr abrufbar. Der Hanfverband berichtet:

Der Bericht der Drogen- und Suchtkommission wie auch die zugehörige Pressemitteilung der Bundesdrogenbeauftragten vom 4. Juni 2002 wurden seitens des Gesundheitsministeriums von ihrer eigenen Webseite gelöscht. Damit das Weglassen dieser Pressemitteilung auf der Seite des Bundesministeriums für Gesundheit (und Soziale Sicherung) nicht so schnell auffällt, hat das Ministerium aus allen Pressemitteilungen der Drogenbeauftragten aus den Jahren 2001 und 2002 die fortlaufende Nummerierung entfernt!“ (Hanfverband​.de)

Eve und Rave e.V. hat den Bericht damals archiviert und somit dafür gesorgt, dass er über die aus der Initiative entstandene Website drogenkult​.net dennoch gelesen werden kann.

Zum Prozess und den Gründen der personellen Zusammensetzung lassen sich wie beim später konstituierten Drogen- und Suchtrat keine Informationen ermitteln.

Allerdings bemühte sich das Gesundheitsministerium 1999 mit der Auswahl der – im Bericht namentlich bekannt gegebenen – Mitglieder offenbar um eine große politische Unabhängigkeit und fachliche Ausgeglichenheit: vertreten sind von sozialwissenschaftlichen Disziplinen über Psychologie und Medizin bis zur Kriminologie diverse relevante Kompetenzen, die keinen regierungsnahen Organen angehören, sondern ihrem Hochschulauftrag verpflichtet sind.
Eine ähnliche Zusammensetzung scheint dem Gesundheitsministerium bei der Einberufung des Drogen- und Suchtrats 2004 nicht mehr erwünscht gewesen zu sein.

Inhaltlich glänzt der Bericht an außerordentlich vielen Stellen mit Progressivität, die angesichts des gegenwärtig von der Bundesregierung propagierten Abstinenzdogmas überrascht. Obwohl er mittlerweile zeitlich rund 20 Jahre zurückliegt, ist eine Gesamtlektüre also auch heute noch sehr zu empfehlen.

Für einen schnelleren Überblick seien hier einige Highlights zusammengestellt:

Die Bundesregierung sollte sich einer zu engen eigenen inhalt-​konzeptionellen Ausrichtung und damit einer vom Grundsatz her zwangsläufig immer auch einseitig wertenden Sicht der Dinge enthalten. So stünde es ihr weder gut an, sich bspw. auf die Seite derer zu schlagen, die etwa eine „suchtmittelfreie Gesellschaft“ postulieren, umgekehrt ebenso wenig, sich denen zu verschreiben, die das Konzept der „Drogenakzeptanz“ favorisieren.“ Seite 3

[…]eine solche, im Wesentlichen an juristischen Kategorien orientierte Sicht [versperrt] von ihrem Ansatz her eine sachgerechte Auseinandersetzung mit kulturell eingelebten Konsummustern bei Alkohol, Tabak und Medikamenten; der Umgang mit diesen Substanzen erscheint implizit, nämlich in Relation zum Konsum illegaler Drogen, als weniger schädlich und substanzbedingt leichter „beherrschbar.“ Seite 5f.

Wenngleich Präventionsbemühungen eine Entwicklung durchlaufen haben, in der sie sich stetig professionalisiert und institutionalisiert haben, erweist sich mehr denn je als brisant, dass weithin auch heute noch das Instrumentarium der Suchtprävention dem hergebrachten Konzept von prinzipiell stets gesundheitsgefährdenden Konsum- und Missbrauchskarrieren folgt und auf dem binären Code „Abstinenz vs. Abhängigkeit“ fußt.“ Seite 9

Dabei gilt es heute als wissenschaftlich akzeptiert, dass bestimmte Formen des Konsums psychoaktiver Substanzen – und zwar auch illegaler Drogen – durchaus mit physischer, psychischer und sozialer Gesundheit vereinbar sein können, Drogenkonsum nicht nur destruktive Komponenten haben kann und er keineswegs zwangsläufig mit somatischen und/​oder psychischen Störungen einhergeht und/​oder per se die Gesellschaftsfähigkeit und Gesundheit der Konsumenten/​innen unterminiert.“ Seite 9

Damit gemeinwesenbezogene Prävention nicht zum Wortspiel oder Etikettenschwindel zulasten von Randgruppen und Modernisierungsverlierern in der Gesellschaft verkommt, ist eine Beteiligung aller gesellschaftlichen Bereiche (einschl. der Randgruppen) von besonderer Bedeutung.“ Seite 18

Die Nebenwirkungen von bestehenden und neuen Gesetzen sind intensiver als bisher zu untersuchen und zu dokumentieren.“ Seite 31

Repressive Vorschriften sollten regelmäßig daraufhin überprüft werden, ob sie präventive Maßnahmen behindern. Im Zweifel sollte der Grundsatz „Prävention vor Repression“ gelten.“ Seite 31

Eine stärkere lebensweltbezogene, sozial- und verhaltenswissenschaftliche Forschung ist notwendig. Eine allgemeine Grundlagenforschung im Bereich der Evaluation ist zu etablieren.“ Seite 39

Empfehlungen wie diese sollten gemäß den Zielen der Kommission weiterhin in die Entwicklung eines Aktionsplans Drogen und Sucht einfließen. Tatsächlich jedoch wird dieser Auftrag an die Kommission nach Veröffentlichung des Berichts an keiner Stelle mehr erwähnt, geschweige denn die Vielfalt kritischer Anmerkungen der Kommissionsmitglieder aufgenommen.

Glaubt man einer Darstellung der Deutschen Apotheker Zeitung, scheinen die Ergebnisse der Kommission einfach übersprungen worden zu sein, um schließlich einen „möglichst breiten Konsens“ seitens der Länder und „allen“ gesellschaftlichen Gruppen erzeugen zu können. Wie dieser aussieht, zeigt sich 2003 im finalen Aktionsplan, der eine differenzierte Sicht auf eine lebensnahe Prävention deutlich verfehlt und stattdessen auf eine maximale Abstinenz ausgerichtet ist.

Obschon viele der durch die Kommission genannten Ansätze auch heute noch relevant für eine positive Gestaltung der Drogenpolitik erscheinen, muss abschließend nochmals betont werden, dass das Erscheinungsdatum des Berichts mittlerweile verjährt ist. Alle Inhalte müssen für eine drogenpolitische Neukonzeption also darauf geprüft werden, inwiefern sie der aktuellen Situation und dem Forschungsstand entsprechen und in ihren Aussagen ggf. anzupassen sind.

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