Es ist wichtig, dass es Therapiemöglichkeiten für abhängige Drogenkonsumenten:innen gibt, die nicht Abstinenz als Bedingung (oder direktes Ziel) setzen und den Gebrauchern:innen Möglichkeiten bieten, den Weg in einen normalisierten Alltag mitzubestimmen. Substitutionstherapie kann Leben retten und einen regulierten Zugang zu Substanzen ermöglichen und das ganz ohne den gezwungenen Zugriff auf den Schwarzmarkt und die damit verbundenen Risiken.
Allerdings kommt es durch die weitgehend fehlenden Möglichkeiten, eine Drogenersatztherapie ohne den regelmäßigen Gang in die Arztpraxis und die damit verbundenen Einschränkungen zu meistern, zu einem neuen Abhängigkeitsverhältnis für Gebraucher:innen: das zum Arzt/zur Ärztin. Die Patientinnen werden oft nicht gleichwertig in die Entscheidungen einbezogen. Das Stigma der unverantwortlichen “Junkies” wird reproduziert. Die Patienten:innen sind auf die Gunst des Behandelnden angewiesen. Persönliche Freiheit wird eingeschränkt. Vergabefenster sind eng und kaum mit Berufstätigkeit vereinbar. Persönlichkeitsrechte werden oft durch Eingriffe in die Intimsphäre, z.B. den Einsatz von Kameras zur Überwachung von Urintests, missachtet. Nachvollziehbare Kommunikation fehlt (in vielen Fällen). Die strikten Regelungen erlauben keine „Fehler“, wie z.B. jeglichen Beikonsum: sonst drohen maßgebliche Einschränkungen. Von Autonomie und Kontrolle bleibt dabei also nur wenig übrig. Somit ist es nicht verwunderlich, dass viele Opioidabhängige Angst haben zu versagen, bevor sie überhaupt die Chance bekommen haben ein Substitut zu gebrauchen.
Es braucht mehr substituierende Ärzt:innen, nicht nur um den Bedarf zu decken, sondern auch, damit die Patient:innen eine Wahlmöglichkeit haben. Zusätzlich müssen mehr Einrichtungen in der Suchthilfe die legale Möglichkeit bekommen niedrigschwellig Substitutionsprogramme zu modellieren, anzubieten und durchzuführen! Deshalb brauchen wir eine gesundheitsorientierte und entstigmatisierte Drogenpolitik im Umgang mit Abhängigkeit: Abstinenz ist nicht für jeden Menschen der realistische oder gewollte Weg! Auch Personen, die suchtkrank sind, verdienen es wie Menschen behandelt zu werden! So wie bei jedem anderen Krankheitsbild auch.
Unzugängliche und stigmatisierende Substitutionstherapie verschlimmert das Problem und ist kontraproduktiv um Schäden zu minimieren, v.a. für die betroffenen Konsument:innen.
Heroin ist aber nicht die einzige Droge, deren Straßenqualität unberechenbare Risiken und Schäden mit sich bringt. An der Westküste von Kanada, in der Provinz British Columbia, wird medizinisches Personal bald auch Fentanyl, Kokain und Crystal Meth in sauberer Qualität verschreiben dürfen („Safe Supply“). Das ist ein unglaublicher Fortschritt, und er wird aber gleichzeitig von den Aktivist:innen, die ihn erkämpft haben, kritisiert, weil das Konzept nicht niedrigschwellig genug und damit nicht realistisch genug ist, um für alle da zu sein. Wie auch immer man das in Deutschland gestalten könnte, solch eine legale Abgabe ist natürlich nicht ohne Herausforderungen; sie muss gut durchdacht und auf die Bedürfnisse angepasst sein, aber die aktuelle Drogenpolitik ist es eben nicht.
Im Herbst ist Bundestagswahl und es wird sich eine neue Regierung bilden. Wenn die CDU/CSU nicht die meisten Stimmen erhält, sieht es für eine Cannabis-Legalisierung wie in Uruguay, Kanada und einigen Staaten der USA ganz gut aus. Dafür müssen wir natürlich wählen gehen. Aber wer wird die oder der nächste Drogenbeauftragte?
Es war nicht alles schlecht, was Daniela Ludwig getan hat, aber sie hat uns in den letzten drei Jahren viel Anlass für wiederholte Kritik gegeben. Worum es uns in unserer Kritik im Kern immer wieder ging: Wir, die Konsument:innen legaler und illegaler Drogen, haben eine Drogenbeauftragte verdient, die was von Drogenkonsum und Sucht versteht und sich nicht erst während ihrer Amtszeit informiert. Es ist schlicht unmöglich, in so kurzer Zeit die nötige fachliche Expertise aufzubauen, umso mehr, wenn man selbst keinerlei Verbindung zu konsumierenden Szenen hatte. Wir wünschen uns eine Drogenbeauftragte, die ab Tag 1 mit uns statt gegen unsere Konsumentscheidungen arbeitet. Die versteht, was die Kriminalisierung für die Betroffenen bedeutet. Die versteht, was Drogenpolitik bedeutet und bedeuten kann.
Es gibt genügend unabhängige Expertinnen und Experten, die man für dieses Amt einberufen kann. Noch mehr wünschen wir uns aber eine unabhängige Fachkommission wie etwa in der Schweiz. Wir haben es verdient, nach 50 Jahren schädlicher Drogenpolitik die maximale Aufmerksamkeit zu erhalten, um die Fehler zu korrigieren, die unübersehbar sind, und das umzusetzen, was sich längst als hilfreich erwiesen hat und wofür die heute Anwesenden kämpfen.
Zum Weiterlesen:
Dirk Schäffer (2018): Wie viel Paternalismus ist nötig? Das Arzt-Patienten-Verhältnis in der Substitutionsbehandlung: https://www.researchgate.net/publication/325324111_Wie_viel_Paternalismus_ist_notig_Das_Arzt-Patienten-Verhaltnis_in_der_Substitutionsbehandlung
Die Schweizer Eidgenössische Kommission für Fragen zu Sucht und Prävention nichtübertragbarer Krankheiten (EKSN)
https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/das-bag/organisation/ausserparlamentarische-kommissionen/eidgenoessische-kommission-sucht-praevention-ncd-eksn.html
Cannabispolitik in Uruguay:
https://weedmaps.com/learn/laws-and-regulations/uruguay
Übersicht zur Cannabispolitik in den USA:
https://en.wikipedia.org/wiki/Legality_of_cannabis_by_U.S._jurisdiction
Kritik zur kommerziell getriebenen Legalisierung in Kanada:
https://www.theguardian.com/society/2020/apr/05/stoners-cheered-when-canada-legalised-cannabis-how-did-it-all-go-wrong
Unser Hintergrund-Artikel über Drogentod:
https://mybrainmychoice.de/drogentote
Safe Supply in British Columbia:
https://www.theglobeandmail.com/amp/canada/british-columbia/article-british-columbia-to-provide-regulated-substances-under-safe-supply/
Interview für einen Einblick in das Frankfurter Bahnhofsviertel mit einer substituierenden Patientin:
https://mybrainmychoice.de/m‑substitution-frankfurter-bahnhofsviertel/
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