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re:publica Rede: Warum die Drogenpolitik ein Menschenrechtsproblem ist.

Die Rede von Philine Edbauer auf dem re:publica x Reeperbahn Festival 2023 in Hamburg.


Video

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(Korrekturhinweis: Statt „360“ muss es natürlich „360.000“ heißen.)


Transkript

Die Drogenpolitik ist ein gravierendes Menschenrechtsproblem. Die Drogenpolitik hat kein Menschenrechtsproblem, das man hier und da ausbessern könnte, die Drogenpolitik ist ein Menschenrechtsproblem.

Diese Woche hat der höchste internationale UN-​Menschenrechtsbeauftragte das Tabu gebrochen und sein Büro hat als erste internationale Organisation der Vereinten Nationen unmissverständlich deutlich erklärt, dass das internationale Drogenkontrollsystem und das Prinzip des Drogenverbots gravierende Menschenrechtsprobleme verantwortet und fördert. Er ruft die Institutionen der UN und die Staaten der Welt dazu auf, das Drogenverbot durch eine verantwortungsvolle legale Regulierung abzulösen.

In seinen Worten:

Damit hat er mein Vortragsthema überholt. In diesem Vortrag soll es „nur“ darum gehen, euch dafür zu begeistern, dass wir uns jetzt auf die Entkriminalisierung von Menschen, die illegale Drogen nehmen, fokussieren sollten. Anlässlich spreche ich heute auch über die ganze Dimension des Drogenverbots.

***

Eine Entkriminalisierung beträfe vielleicht einige von uns hier im Raum, unsere Freund*innen, Familie, Arbeitskolleg*innen, Menschen, von denen wir über ihren illegalen Drogengebrauch nichts wissen… Was glaubt ihr? Wie viele Leute in eurem Umfeld haben mit illegalen Drogen zu tun? Gar nicht? Mindestens 20, 50, 80 Prozent?

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Als Zivilgesellschaft können wir Themen vorbereiten, sie vertiefen, Gespräche fördern, auf Politiker*innen zutreten, deutliche Probleme benennen und Forderungen aufstellen. Das ist es, was wir bei der MyBrainMyChoice Initiative seit 6 Jahren machen. Als Netzwerk von Menschen, die auf die ein oder andere Art mit illegalen Drogen und den Folgen der Drogenpolitik zu tun haben.

Eine besondere Herausforderung ist, dass die demokratische Debatte darüber, anders als bei anderen Themen, schiefhängt. Wer sich zu Drogenpolitik außerhalb des konsumierenden Umfelds äußert, riskiert den Verlust der Ausbildung, beruflicher Möglichkeiten und familiärer Brüche. Solange Menschen, die mit illegalen Drogen zu tun haben, kriminalisiert und stigmatisiert werden, hängt die drogenpolitische Debatte schief. Dieses Problem ist in den letzten Jahren nochmal stärker aufgebrochen dank drogenerfahrener Menschen, die sich dennoch stark in die Debatte einmischen. Und insbesondere seit der Ampel hat die Diskussion der Themen in der medialen und öffentlichen Debatte endlich an Normalität und Legitimation gewonnen. Es ist ok, über Drogenpolitik zu sprechen! Es gilt zwar immer weniger die Idee „Je weniger Menschen mit Drogen zu tun haben, desto mehr dürfen sie mitsprechen und entscheiden“, aber diese schräge Annahme ist trotzdem noch an sehr vielen Stellen präsent.

Der UN-​Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, spricht uns mit seinem Bericht von der Seele. Ab jetzt können wir die systematischen Menschenrechtsverletzungen mit Rückdeckung anprangern und hoffen, dass alle weiteren Organisationen, Wissenschaftlicher*innen und Politker*innen, die sich für die Wahrung der Menschenrechte einsetzen, ihren Schatten und das Stigma überspringen und die Drogenpolitik nun schließlich in ihr Portfolio und in die tägliche Arbeit aufnehmen, so wie alle anderen notwendigen Themen auch.

Was dieser Bericht enthält sind unter anderem diese deutlichen Feststellungen:

  • Die Anerkennung von Schadensminimierung (harm reduction) als ein zentrales Element des Rechts auf Gesundheit
  • Die Benennung der Militarisierung der Drogenkontrolle als Motor staatlicher Gewalt
  • Der Aufruf zur Abschaffung der Todesstrafe für Drogendelikte
  • Die Anerkennung der Rolle unverhältnismäßiger Drogengesetze an der weltweiten Masseninhaftierung
  • Die Dokumentation der gezielten Verwendung von Drogenpolitik gegen marginalisierte Gruppen wie unter anderem gegen Indigene Völker, Menschen mit afrikanischer Abstammung und Frauen
  • Die Anerkennung der unverhältnismäßigen negativen Auswirkungen der Prohibition und Kriminalisierung auf Menschen, die von humanitären Krisen betroffen sind.

Beim Engagement für drogenpolitische, grundlegende, systematische Reformen geht es um den Einsatz gegen weltweite Schmerzmittelunterversorgung, es geht um den Einsatz gegen die Todesstrafe. Dafür einzustehen, dass die philippinische Regierung den Internationalen Strafgerichtshof nicht weiter daran hindert, Ermittlungen wegen Verdachts auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit durchzuführen. Es geht darum, Anteil zu nehmen an den Familien der getöteten zehntausenden Menschen in den Philippinen und anderswo, die Drogen nahmen oder zu kleinen Mengen handelten oder es angeblich taten. Menschen, die in einer nationalen Kampagne im Namen der „Drogenbekämpfung“ getötet wurden und werden, mit einer großen Überschneidung an Narrativen, die sich in jeder Drogenpolitik der Welt finden. Wo sie nicht wegen Drogen getötet werden, sondern weil sie arm sind und als Sündenböcke einer populistischen Kampagne dienen. Es geht um eine sich zuspitzende Unterscheidung zwischen Menschen, die es verdient hätten, ein gutes, sicheres Leben zu haben, und die zunehmende Kluft zu den Menschen, die die „undeserving poor“ seien. Es bilden sich auf der einen Seite diejenigen, die sich durch eine wachsende, autoritärer werdende Sicherheitspolitik zu schützen versuchen und zu denen gehören wollen, die schützenswert sind, gegenüber denjenigen, die eine Gefahr darstellen würden, die Menschen, die Sicherheitspolitik von der anderen Seite sehen. Es heißt, man müsse sich vor Menschen, die Drogen nehmen, schützen, weil sie einen in die Gosse ziehen würden, weil sie faul seien und keine gesellschaftliche Verantwortung übernehmen würden, Suchtbehandlung sei nur verschwendetes Geld, man solle einfach keine illegalen Drogen nehmen und wenn man doch nachsichtig sein will, sei von den Menschen zu erwarten, dass sie sich diesen Fehler schamvoll eingestehen und reuevoll abstinent werden, und dann wäre alles gut. Kommt einem bekannt vor, richtig?

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In Deutschland:

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In Deutschland sind 13 Prozent der Menschen in Gefängnissen direkt wegen Drogendelikten inhaftiert. Das sind etwa 6.500 Menschen. Plus diejenigen, die für ihren Drogenbesitz zwar keine Haftstrafe bekommen haben, aber wegen Armutsdelikten wie der Ersatzfreiheitsstrafe inhaftiert sind. Weltweit wurden mindestens 20 Prozent der Menschen in Gefängnissen für Drogendelikte verurteilt.

Die Bekämpfung von Drogen dient Polizei und Staatsanwaltschaft tagtäglich als Mittel für rassistische Polizeiarbeit. Schwarze Menschen, die in deutschem Polizeigewahrsam verstorben sind oder gefoltert wurden, wurden im Zusammenhang mit Drogenfahnung festgehalten. Drogen, die nachgefragt werden. Drogenhandel gibt es überall in der Gesellschaft. Der Drogenhandel im öffentlichen Raum ist ungleich verteilt und der Görli in Berlin oder St. Georg in Hamburg sind ein populistisches Schlachtfeld für Politiker*innen, wo sie sich mit rassistischen Aussagen mehr aus dem Fenster lehnen können als teils anderswo, weil es geht ja schließlich um Drogen und man macht sich Sorgen um seine Kinder. Das ist billiger Populismus, der an die Ängste, Unsicherheiten und Mythen über die Wirkung von illegalen Drogen appelliert und sie verschärft, aber hat mit einer realen Einschätzung von Risiken und Gefahren im Zusammenhang mit Drogen nichts zu tun.

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Viele Probleme der weltweiten Drogenbekämpfung lassen sich nicht mit einer Entkriminalisierung von Menschen, die illegale Drogen nehmen, lösen, sondern es bedarf einer grundlegenden Umstrukturierung des Drogenkontrollsystems und einer bedachten Herauslösung von Gebrauch und Handel aus den illegalen Strukturen.

Aber bereits die Entkriminalisierung von Menschen, die Drogen nehmen, muss als eine enorme Aufgabe begriffen werden, damit eine politische Reform nicht mit demselben vom gleichen endet, wie es gerade beim CanG zu befürchten ist. Das Cannabisgesetz hat immer noch ein enorm großes Potenzial und ist immer noch ein risiger Schritt weg von der Logik des Verbotsystems, aber kann durch Details extrem verwässert bis hin zu verschlimmert werden, wie sich im aktuellen Referentenentwurf zeigt, der im Parlament jetzt ausgehandelt wird.

Unsere 13 Forderungen enthalten die notwendigen Elemente für eine Entkriminalisierung in Deutschland. Sie sind in 4 Abschnitte unterteilt, die der Breite und Tiefe des gesellschaftlichen Problems begegnen versuchen. Die Beendigung der Strafverfolgung, die Sicherung der Gesundheitsrechte, die Integration von Wissen und die Reparatur von Schäden.

Sie sind ausformuliert online zugänglich. Sie sind konkret genug, um den politische Handlungserfordernis zu benennen, aber grob genug, um nur ein Diskussionsauftakt zu sein.

Eine sichere Strategie im Umgang mit Drogen ist, endlich auf den Pfad zu kommen, ausarbeiten zu wollen, wie wir mit den Drogen leben wollen und aufhören zu versuchen, einen nicht gewinnbaren Krieg gegen sie anzukämpfen.

Drogenpolitik ist kein Randthema. Es ist ein Kernthema gravierender, systematischer Menschenrechtsverletzungen. Für wen die Drogenpolitk minuter besonders schlecht ist? Kinder! Kinder und Jugendliche verdienen es, in eine Welt zu wachsen, in der wir als Erwachsene uns die beste Mühe geben, besser zu sein.

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