Demokratische Drogenpolitik bedeutet, nicht nur über, sondern auch mit Personen, die illegalisierte Drogen gebrauchen, zu reden und diese in Entscheidungen einzubeziehen.
Personen, die illegalisierte Drogen nehmen, und die von ihnen geführten Organisationen dürfen von der Mitwirkung in der Drogen- und Suchtpolitik nicht ausgeschlossen werden, wie es in Ministerien, Ausschüssen und Fachgruppen bisher die Regel ist. Die reale Bedeutung von Gesetzesänderungen und Leitlinien für Personen, die direkt von drogen- und suchtpolitischen Regelungen und Entscheidungen betroffen sind und ob „gut gemeinte“ Vorschläge unbeabsichtigte Konsequenzen haben werden, kann durch eine sorgfältige Beteiligung frühzeitig geklärt werden.
Einige Politiker*innen und Mitarbeitende von Behörden mögen, bevölkerungsdurchschnittlich abgeleitet, zwar aktuelle oder vergangene Erfahrungen mit illegalisierten Drogen und rechtlichen Delikten wie dem Erwerb und der Weitergabe oder auch Handel haben. Um das strukturelle Problem zu verstehen, das den Bedarf der umfassenden Beteiligung begründet, muss man den Umstand berücksichtigen, dass die Strafverfolgung nicht alle gleich trifft. Der Großteil der Personen, die sich nicht an das Betäubungsmittelgesetz halten, wird von der Polizei nie erwischt und hat keinen Hilfebedarf, oder hält diesen möglichst geheim, und bleibt also außerhalb des konsumierenden Freundeskreises unsichtbar. Tatsächlicher oder fälschlicherweise zugeschriebener Gebrauch illegalisierter (!) Substanzen durch einzelne Politiker*innen wird benutzt, um ihnen Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit abzusprechen. Jene Personen, die ihren Gebrauch unsichtbar halten können, was in privilegierter gesellschaftlicher Position wiederum leichter gelingt, schützen sich ganz bewusst durch diese Geheimhaltung vor den negativen Folgen der Politik und gehören also nicht zu denjenigen, die mit den gesundheitlichen und biographischen Einschnitten durch Kriminalisierung und Stigmatisierung leben. Sollten Erfahrungen mit illegalisierten Drogen in Parlamenten und Behörden vorliegen, wird nicht offen mit ihnen umgegangen. Weil Stigmatisierung zu Schweigen führt, muss sich um das Wissen von Personen, die von der Strafverfolgung, wie sie die repressive Drogenpolitik vorsieht, der Stigmatisierung, (Mehrfach-)Diskriminierung und Marginalisierung betroffen sind, aktiv bemüht werden oder es fehlt.
Die Organisation von Beteiligung an Reformprozessen muss die Bereitstellung klarer, barrierearmer und glaubwürdiger Informationen über alle politischen und rechtlichen Änderungen beinhalten.
Externe, unabhängige und auf die Herausforderungen von Stigmatisierung und Kriminalisierung geschulte Mediator*innen können in politischen Sitzungen die Anhörung auf Augenhöhe oder eine produktive Verständigung vorbereiten, begleiten und evaluieren. Wie in der Forschung (Forderung 14) dürfen die Beteiligten sowie ihre Zeit und Bereitschaft, von ihren Erfahrungen zu berichten, nicht missbraucht werden. Ein häufiges Problem von Beteiligungsprozessen ist, dass eine Betroffenengruppe nur zum Schein in den Mittelpunkt des Engagements gestellt wird, aber man sich letztlich nur nach außen hin mit Partizipation schmückt, um Ansehen unter Kolleg*innen zu gewinnen und die Karriere zu verbessern und/oder um einen Vorwurf der Nicht-Beteiligung zu entkräften (sogenannter „Tokenism“). Beteiligungsprozesse müssen gezielt Deutungshoheit umverteilen und Veränderungen in den Machtverhältnissen anstoßen, weil sie sonst ins Leere laufen.
Die Deutungshoheit über Definitionen (zum Beispiel: „Was ist Sucht“, „Was ist kriminell“, „Was ist Harm Reduction“), Formulierungen von Leitlinien und Gesetzentwürfen, das Setzen von Tagesordnungspunkten und die Auswahl von Expert*innen für Beratungsgremien sind einflussreiche Mittel zur Gestaltung von Politik, die mitunter von Behörden und von Verbänden bestimmt werden, die wiederum keine oder nur Schein-Partizipation betreiben.
Die unverhältnismäßige Rolle von Polizeigewerkschaften in der Beratung zur Drogengesetzgebung muss grundsätzlich hinterfragt werden. Die Drogenprohibition schafft der Polizei einen großen Tätigkeitsbereich. Die stetige Forderung nach einer wiederholten Ausweitung von Befugnissen für die Strafverfolgungsbehörden und einem Aufstocken von Ressourcen ist für das Interesse am Selbsterhalt einer Institution nachvollziehbar, aber widerspricht den drogen- und suchtpolitischen Handlungsempfehlungen von Expert*innen (Forderungen 1, 2 & 4).
Zum Weiterlesen:
- INPUD: „Partnership Guide for Drug User-Led Networks: The Good, Bad and Ugly“ inpud.net/partnership-guide-for-drug-user-led-networks/
- Justice Collective, Grundrechtekomitee u.a.: „Die polizeiliche Kriminalstatistik ist als Instrument zur Bewertung der Sicherheitslage ungeeignet“ racismontrial.org/de/blog/news/pks