Die My Brain My Choice Initiative ist Unterzeichnerin des internationalen Appells. Er wurde vom globalen Dachverband der Zivilgesellschaft „International Drug Policy Consoritum (IDPC)“ initiiert und am 10. Dezember verschickt.
Nachfolgend die autorisierte deutsche Übersetzung:
10. Dezember 2025
Sehr geehrte Mitglieder der Horizontalen Gruppe „Drogen“ des Rates der Europäischen Union,
das International Drug Policy Consortium (IDPC) nimmt gemeinsam mit 83 zivilgesellschaftlichen und Community-Organisationen Stellung zu der von der Europäischen Kommission am 4. Dezember 2025 veröffentlichten vorgeschlagenen „EU Drug Strategy“ sowie dem „Plan of Action on Drug Trafficking“. Wir äußern unsere tiefe Besorgnis über mehrere Aspekte der Strategie sowie über die Entscheidung der Europäischen Kommission, einen Aktionsplan vorzulegen, der sich ausschließlich auf die Bekämpfung des Drogenhandels und der organisierten Kriminalität fokussiert.
Wir rufen die EU-Mitgliedstaaten nachdrücklich dazu auf, die vorgeschlagene Strategie und den Aktionsplan erst dann zu verabschieden, wenn diese in einer Weise überarbeitet wurden, die die zentrale Bedeutung von Gesundheit, Schadensminderung („Harm Reduction“) und Menschenrechten im europäischen Umgang mit Drogen wahrt.
Wiederherstellung der Priorität der Schadensminderung („Harm Reduction“)
Im Jahr 2021 wurde die damals in der Drogenstrategie 2021–2025 neu eingeführte strategische Säule zur Schadensminderung („Harm Reduction“) in Kombination mit anderen Prioritäten vonseiten der Zivilgesellschaft begrüßt. Die Europäische Kommission hat nun beschlossen, die neue Strategie unter den Überschriften Vorsorge („preparedness“), Gesundheit („health“), Sicherheit („security“), Schaden („harm“), internationale Zusammenarbeit („international cooperation“) sowie EU-Koordination und Partnerschaften („EU coordination and partnerships“) zu strukturieren. Problematisch ist, dass die Strategie die Schadensminderung („Harm Reduction“) („Strategic priority 7: Reduce individual drug-related harm“) nicht – wie bisher – in der Säule „Gesundheit“ zusammen mit Prävention, Behandlung, Genesung und Wiedereingliederung verortet, sondern sie stattdessen der Säule „Schaden“ („harm“) zuordnet, gemeinsam mit einer Reihe von nicht damit zusammenhängenden Themen der Angebotsseite wie etwa die Anwerbung von Minderjährigen für den Drogenhandel sowie die Umweltschäden druch Anbau und Produktion – Themen, die richtigerweise im Abschnitt „Sicherheit“ aufgehoben wären.
Schadensminderung („Harm Reduction“) ist ein wesentlicher Bestandteil des Rechts auf Gesundheit und wird seit Jahrzehnten von den EU-Institutionen, insbesondere der Europäischen Drogenagentur (European Union Drugs Agency, EUDA), als evidenzbasierter Ansatz gefördert. Dieser Ansatz kann die gesundheitlichen Risiken und Schäden für Personen, die Drogen gebrauchen, wirksam reduzieren. Angesichts der Tatsache, dass die EU-Drogenstrategie allein für das Jahr 2023 verheerende 7.500 Todesfälle im Zusammenhang mit Drogengebrauch meldet, ist es dringlich geboten, dem Ansatz der Schadensminderung („Harm Reduction“) Priorität einzuräumen.
Die Verlagerung der Schadensminderung („Harm Reduction“) weg vom Pfeiler „Gesundheit“ der Strategie stellt nicht nur einen konzeptionellen Fehler dar, sondern vermischt auch unterschiedliche Arten von „Schäden“. So wird riskiert, dass dieser wesentliche Aspekt der Drogenpolitik an Priorität verliert. In der Praxis könnte dies schwerwiegende Auswirkungen auf die Umsetzung von Programmen und deren Finanzierung haben und zu einer Zunahme vermeidbarer Schäden und Todesfälle führen.
Wir rufen die EU-Mitgliedstaaten dazu auf, darauf zu bestehen, die strategische Priorität 7 „Verringerung individueller Schäden im Zusammenhang mit Drogengebrauch“ („Reduce individual drug-related harm“) der Säule „Gesundheit“ zuzuordnen.
Gewährleistung eines umfassenden und ausgewogenen Aktionsplans
Die Entscheidung der Europäischen Kommission, einen Aktionsplan zu verabschieden, der sich ausschließlich auf die Bekämpfung „des Drogenhandels“ („drug trafficking“) konzentriert, stellt eine erhebliche Abweichung von der bisherigen Praxis dar, wonach die EU eine Strategie und einen begleitenden Aktionsplan verabschiedet, die alle Aspekte der Drogenpolitik abdecken. Dies ist äußerst problematisch, da es unweigerlich eine völlige Schieflage zugunsten der Angebotsreduzierung zur Folge haben wird. Jene Aspekte der Drogenstrategie, die nicht mit „Sicherheit“ zusammenhängen, werden dadurch de facto an Priorität verlieren. Gleichzeitig wird es äußerst schwierig, die Wirksamkeit der Strategie zu bewerten und regelmäßige Überprüfungen durchzuführen, solange keine klaren Verpflichtungen, Maßnahmen und Indikatoren zur Überwachung und Bewertung der Fortschritte bei der Umsetzung festgelegt werden.
Wir rufen die Mitgliedstaaten dazu auf, den von der Kommission vorgeschlagenen Aktionsplan abzulehnen und stattdessen einen neuen Aktionsplan zu verabschieden, der alle drogenpolitischen Bereiche abdeckt. Dieser neue Aktionsplan sollte konkrete Verpflichtungen und Maßnahmen für die Mitgliedstaaten formulieren, begleitet von Maßstäben, die sich nach Menschenrechten, sozialem Zusammenhalt, Gesundheit und Sicherheit richten. Er sollte im Einklang mit den Menschenrechtsleitlinien der Vereinten Nationen und den Zielen für nachhaltige Entwicklung stehen und einen klaren Zeitplan für die Überwachung und Bewertung der Strategie und des Aktionsplans festlegen.
Gewährleistung eines menschenrechtsbasierten Ansatzes in allen Bereichen der Drogenpolitik
Die aktuelle Strategie erwähnt zwar die Menschenrechte sowie hochrangige politische Dokumente zum Thema Drogen, versäumt es jedoch, zentrale Menschenrechtsleitlinien ausdrücklich zu benennen, die in der vorherigen Drogenstrategie enthalten waren und der EU-Drogenpolitik als Rahmen dienten. Dazu zählen die International Guidelines on Human Rights and Drug Policy, die UN System Common Position on drugs und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte.
Zudem enthält der Pfeiler „Sicherheit“ der Strategie keinerlei Bezug auf die Menschenrechte, obwohl mittlerweile zahlreiche Belege für die verheerenden Auswirkungen auf die Menschenrechte vieler Strategien zur Angebotsreduzierung sowohl innerhalb der EU als auch weltweit vorliegen. Dieser Pfeiler sollte auf einem soliden menschenrechtlichen Ansatz basieren, der sich an den Empfehlungen des wegweisenden Berichts von 2023 des Büros des Hochkommissars für Menschenrechte der Vereinten Nationen (OHCHR) orientiert.
Desweiteren lässt der Pfeiler „Sicherheit“ der Strategie die Tatsache unberücksichtigt, dass die Strafverfolgung im Bereich der Drogenpolitik den illegalen Drogenmarkt und die damit verbundene Gewalt nicht wirksam eindämmen kann. Die EUDA (Europäische Drogenbehörde) selbst berichtet über einen Anstieg von Konsum und Handel, während die mit illegalen Drogenmärkten verbundene Gewalt zu einem gravierenden Problem geworden ist. Und doch setzt dieser Pfeiler auf mehr vom Gleichen, anstatt den Weg zu mehr Dialog und Möglichkeiten zur Erprobung innovativer Ansätze zu öffnen.
Wir rufen die EU-Mitgliedstaaten nachdrücklich dazu auf, 1. die Referenzen zu den zentralen internationalen Menschenrechtsleitlinien wieder in die Strategie aufzunehmen, 2. den Sicherheitspfeiler der Strategie neu auszubalancieren, um sicherzustellen, dass alle Bereiche der EU-Drogenpolitik fest in einem menschenrechtsorientierten Ansatz verankert sind, gestützt auf die Empfehlungen des OHCHR, und 3. eine strategische Priorität für politische Innovationen einzuführen, um den Mitgliedstaaten die Möglichkeit zu geben, Alternativen zu Kriminalisierung und Bestrafung zu erproben.
Die Europäische Union verfolgt seit Langem einen ausgewogenen, ganzheitlichen und menschenrechtsorientierten Ansatz in der Drogenpolitik. Wir fordern die Mitgliedstaaten nachdrücklich dazu auf, sicherzustellen, dass die EU diesen ausgewogenen Ansatz auch in den kommenden Jahren weiter unterstützt.
Mit freundlichen Grüßen,
Ann Fordham
Executive Director
International Drug Policy Consortium
Autorisierte Übersetzung durch Philine Edbauer (My Brain My Choice Initiative). Die My Brain My Choice Initiative ist Mitglied des International Drug Policy Consortium.
