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Bild: Ilyass SEDDOUG on Unsplash

Cannabis und internationale Drogenpolitik: Die 63. Sitzung der CND

Ein Überblick über die internationalen Prozesse drogenpolitischer Gesetzgebung und die anstehende Sitzung der Commission on Narcotic Drugs. Nils Biedermann hat seine Bachelorarbeit über Drogenpolitik auf UN-​Ebene geschrieben. Letztes Jahr hatte er durch eine Einladung von MAPS die Chance, bei der 62. Sitzung der Commisson on Narcotic Drugs teilzunehmen. In diesem Beitrag für #mybrainmychoice erklärt er, was CND-​Sitzungen eigentlich sind und was von der 63. Sitzung zur Cannabis-​Regulierung erwartet werden kann.

Lesezeit: 5 Minuten

Vom 2. bis 6.3.2020 findet in Wien die 63. Sitzung der UN-​Suchtstoffkommission (CND, Commission on Narcotic Drugs) statt. Die Kommission wurde 1946 vom Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen (ECOSOC, Economic and Social Council) ins Leben gerufen und besitzt zwei Hauptaufgabenbereiche: Einen normativen Bereich, welcher sich mit den drei internationalen Drogenverträgen befasst, diese modifiziert oder erweitert; im zweiten Bereich agiert die CND als geschäftsführendes Organ des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC, United Nations Office on Drugs and Crime) und dessen internationalen Drogenkontrollprogramms. Sie schreibt Erklärungen wie z.B. den UN-Aktionsplan zu Drogenfragen von 2009 (Political Declaration and Plan of Action).

Die CND besteht aus insgesamt 53 Mitgliedsstaaten, die nach geografischen Regionen zusammengesetzt werden und alle vier Jahre rotieren. Entscheidungen in der CND werden nach dem sogenannten Wiener-​Konsens Prinzip gefällt. Diese Regel ist einer der Gründe für den Stillstand im Bereich der internationalen Drogenpolitik, da alle Übereinkünfte immer auf den kleinsten gemeinsamen Nenner gebracht werden müssen.*

Was passiert bei der 63. Sitzung?

Bereits im Dezember 2018 veröffentlichte die Weltgesundheitsorganisation (WHO, World Health Organisation) ihre neuen Empfehlungen für die internationale Klassifizierung von Cannabis und Cannabisprodukten. Diese sehen insgesamt sechs Veränderungen vor. Entscheidend ist dabei vor allem die Verschiebung von Cannabis aus Anlage IV in Anlage I.

Dazu ein kurzer Exkurs ins Anlagensystem des UN-​Einheitsabkommens über Betäubungsmittel von 1961 (UN Single Convention on Drugs): Die vier Anlagen beziehen sich auf die Verkehrsfähigkeit von Substanzen. Anlage IV, in der sich Cannabis zurzeit befindet, ist die restriktivste und verbietet jegliche Art von Besitz, Handel, Gewinnung und Verwendung. Substanzen der Anlage IV sind automatisch Teil der Anlage I, die – nicht wie man annehmen könnte – die am wenigsten restriktivste Anlage ist. Die Reihenfolge von stärker bis weniger restriktiv lautet also: IV, I, II, III. Der Unterschied zwischen Anlage IV und I ist, dass Anlage I den Umgang für medizinische und wissenschaftliche Zwecke erlaubt. Die Stufen II und III sehen für einige psychoaktive Substanzen gewisse Ausnahmen von den Kontrollmaßnahmen, die für Anlage IV bzw. I definiert werden, vor.

CND-​Sitzung 2019, Foto: Nils Biedermann

Nach den von der WHO vorgeschlagenen Änderungen wäre Cannabis also nicht mehr Teil der notorischen Anlage IV. Cannabis würde immer noch zu den höchst zu bekämpfenden Substanzen gehören, allerdings würde durch die UN anerkannt werden, dass Cannabis medizinischen Nutzen hat.

Deutschland, vertreten durch die Bundesdrogenbeauftragte Daniela Ludwig, wird wahrscheinlich als einheitlicher Block zusammen mit den anderen EU-​Staaten abstimmen. Die EU-​Kommission rät dazu, drei der sechs Vorschläge anzunehmen: Reklassifizierung von Cannabis von Stufe IV zu Stufe I der Single Convention on Narcotic Drugs sowie zwei der Richtlinien zu Dronabinol. Sie spricht sich gegen die Reklassifizierung von THC-​haltigen, medizinischen Pharmaprodukten von Stufe IV zu Stufe III aus.

Was bedeutet das für Deutschland?

Die Erwartungen und Hoffnungen an diese 63. Sitzung sollten nicht zu hoch angesetzt werden. Zwar gibt es einige progressive Kräfte auf internationaler Ebene: Kolumbien, Uruguay sowie Kanada und europäische Staaten; allerdings sind auch Länder mit repressiver Drogenpolitik wie China, die Türkei und Russland direkt beteiligt und durch den Wiener-​Konsens reicht eine einzelne Gegenstimme, um die Reklassifizierung zu verhindern.

Sollten sich die WHO-​Richtlinien trotzdem durchsetzen, so würde die UN ein weltweites, starkes Zeichen setzen. Cannabis wäre nicht mehr automatisch eine schädliche Droge, sondern ein potenzielles Arzneimittel. Dies wiederum hätte Einfluss auf die deutsche Drogenpolitik. Zwar ist Cannabis als Medizin in Deutschland legal, allerdings ist die Situation für einige Patient*innen noch problematisch. Eine Änderung der Richtlinien könnte den Zugang zu Cannabis als Medizin auch in Deutschland erweitern. Es könnten weitere cannabishaltige Medikamente entwickelt werden und auf den Markt kommen.

Zudem würde die Neubewertung dem internationalen prohibitionistischen System einen weiteren Anstoß Richtung Legalisierung geben und momentane Argumente gegen die Legalisierung schwächen, die sich auf die UN-​Konventionen berufen. Auch die deutschen Drogenbeauftragten bezogen sich immer wieder auf die internationalen Konventionen, um Forderungen nach Legalisierung und Entkriminalisierung zu diskreditieren.

Interessanterweise ist Deutschland auf den CND-​Treffen jedoch dafür bekannt, eine insgesamt progressive Meinung und Gesetzgebung zu vertreten und den Fokus auf die Themen Menschenrechte, Prävention, internationale Zusammenarbeit und Medizin zu legen – was sich wohl über den Vergleich mit anderen Ländern erklären lässt. Hier ist die Rede von Marlene Mortler von der letzten Sitzung zum Nachlesen.

Drogenpolitischer Aktivismus auf UN-Level

Im vergangenen Jahr hatte ich die Chance, an der CND-​Sitzung teilzunehmen. Der bürokratische Prozess und die Verhandlungen haben sich mir dabei als unfassbar frustrierend und zäh dargestellt. Zudem war es für mich bizarr zu entdecken, dass Länder Stände haben, an denen sie ihre jeweiligen Anti-​Drogen-​Strategie präsentieren. So fand sich ein bewaffneter türkischer Pappsoldat direkt neben der kanadischen Präsentation ihrer progressiven Kampagne #stigmaendswithme. Und die Philippinen, wo im Namen des „war on drugs“ Menschen erschossen werden, legten an ihrem Stand Anti-​Drogen-​Comics für Kinder aus.

Gegenüber diesen negativen Eindrücken gibt es neben der WHO-​Erklärung aber auch weitere Anstöße, die das Klima auf den CND-​Sitzungen zum Positiven bewegen: Seit mehreren Jahren veranstalten progressive drogenpolitischen Organisationen Nebenevents, auf denen sie Themen wie Prävention, Harm Reduction, Indigene Rechte und Medizin bestärken.

SSDP (Students for Sensible Drug Policy) bei den Nebenevents 2019. Nils Biedermann: hinten, 6. v.r.

Desweiteren besteht bei den Sitzungen und Nebenevents die Möglichkeit, sich international zu vernetzen. Es war beeindruckend, Leute aus der ganzen Welt kennenzulernen, die sich für eine bessere Drogenpolitik einsetzen. Insbesondere dann, wenn die Aktivist*innen aus Ländern kommen, in denen auf Drogenkonsum drakonischere Strafen stehen als in Deutschland. Das machte mir bewusst, dass sich internationale Drogenpolitik auf einem anderen Level abspielt als in Deutschland: Während wir für dieselbe Sache kämpfen, engagieren sich Aktivist*innen in Deutschland vorwiegend für die Cannabis-​Legalisierung und Aktivist*innen einiger anderer Länder für die Abschaffung der Todesstrafe.

Wer sich international einsetzen will, kann sich einer der internationalen NGOs anschließen. Oder man kämpft auf nationaler Ebene für Veränderungen. Denn Veränderungen auf nationaler Ebene wie in Kanada, USA oder Uruguay verändern den Ton der Debatte und tragen maßgeblich dazu bei, das Regime der Prohibition weiter aufzulösen.

Wer sich vertiefender mit dem Gesetzgebungsprozess befassen will, kann die 63. Sitzung hier im CND-​Blog live verfolgen. Für genauere Informationen über die CND und drogenpolitischen Aktivismus auf UN-​Ebene empfehle ich das „Drug Policy Reform At The United Nations – A Youth Advocacy Handbook“.


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Eigentlich reicht eine einfache Mehrheit, um Substanzen des Einheitsabkommens von 1961 zu reklassifizieren. Für Reklassizifierzungen in den Konventionen von 1971 und 1988 ist eine Zwei-​Drittel-​Mehrheit festgelegt. Allerdings bietet der Wiener Konsens den Staaten diverse Auswege: Wenn in den Sitzungen kein Konsens für einen Änderungsvorschlag erreicht wurde, konnten Abstimmungen verhindert, nach hinten verschoben oder anderweitig umgangen werden. Wie die Abstimmungen zu Cannabis in den vergangenen Jahren verliefen, wurde hier aufbereitet. Zurück zur Textstelle

Aktueller Hinweis von MBMC (2023): Ann Fordham, Executive Director vom International Drug Policy Consortium, erklärt in diesem Artikel, inwiefern der Wiener Konsens brüchig geworden ist. 2022 wurde auf der Generalversammlung der UN erstmals eine drogenpolitische Resolution per Abstimmung beschlossen.

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