Forderung 16 von 21: Relevante Daten erfassen, Transparenz schaffen

Momentan gibt es vereinzelt Daten zum Drogengebrauch und zu Trends in der Bevölkerung. Einige Daten sind wenig aussagekräftig und lassen dementsprechend Raum für sehr unterschiedliche und vorschnelle Interpretationen. Zum Beispiel zeigt die Statistik, dass die Anzahl der jährlichen „Drogentode“ steigt. Über die Lebensumstände und die konkreten Todesursachen der Personen sagt sie jedoch nichts. Das Auffinden von Substanzen im Körper lässt wenig würdevolle Rückschlüsse zu. Die Erkenntnisse aus der Obduktion an sich sind schon begrenzt aussagekräftig: Lag zum Beispiel Mischkonsum mit Alkohol vor? Ist die gemessene Substanz tatsächlich die Todesursache? Beachtet werden muss aber auch: Die meisten Personen in der Statistik verfügen über Konsumerfahrungen. Die meisten Personen, die illegalisierte Substanzen gebrauchen, erleben in den meisten Fällen keine knapp tödlichen oder tödlichen Überdosierungen. Die Erklärung für die Todesfälle muss immer über die Einnahme der Substanz hinaus gesucht werden, um die tatsächliche Todesursache zu ergründen. Statt die Verstorbenen als Zahl einer Statistik zu behandeln, muss dabei der Respekt gegenüber den Angehörigen wie ihr Recht Trauer im Mittelpunkt stehen.

Wenn Behandlungszahlen in Statistiken einen Anstieg aufzeigen, verleitet dies ebenfalls oft zu vorschnellen Schlussfolgerungen: Ursachen können schlicht in einem erweiterten Versorgungsangebot von Behandlungsplätzen, in der Entstigmatisierung von Konsumproblemen liegen oder tatsächlich (auch) mit Trends oder der Zunahme von Konsumgewohnheiten in der Gesellschaft stehen. Die Nachfrage nach Beratung und Therapien ist viel größer als das Angebot (Forderung 8). Steigende Behandlungszahlen könnten also eine gute Nachricht für die Minimierung dieser Lücke sein. Wenn mehr Menschen Behandlungsangebote aufsuchen, sollte dies grundsätzlich begrüßt und ermutigt statt problematisiert und beschämt werden.

In Deutschland sind die konkreten Auswirkungen des Betäubungsmittelrechts bisher kaum untersucht. Die drogenbezogene Arbeit von Staatsanwaltschaften, Gerichten, Haftanstalten, Sicherungsverwahrung und Polizeibehörden – insbesondere von „Spezialeinheiten gegen öffentlich sichtbaren Drogenhandel“ („Task Forces“) – sowie die Polizeipraxis bei Hausdurchsuchungen, von Verkehrspolizist*innen und Polizeischulen sind bisher kaum transparent. Wie haben sich diese Maßnahmen konkret auf die betroffenen Personen und Verurteilten ausgewirkt und welche Auswirkungen hat die repressive Drogenpolitik insgesamt auf die Gesellschaft? (Forderungen 14 & 18)

Betrachtet man sozialwissenschaftliche Erkenntnisse im Allgemeinen, etwa zur Politik und Polizeipraxis gegen sogenannte, von ihnen selbst konstruierte „Clankriminalität“, Erkenntnisse aus drogenpolitischen Untersuchungen anderer Länder und Berichte von UN-​Menschenrechtsbeauftragten kann man auch in Deutschland davon ausgehen, dass sich die aktuelle Drogenpolitik insbesondere auf rassifizierte, migrantisierte und von Armut betroffene Menschen negativ auswirkt.

In der deutschen, europäischen und internationalen „Drogenbekämpfung“ fehlt es an Transparenz über die Verwendung öffentlicher Mittel, unter anderem mit Budgets der Entwicklungszusammenarbeit. Wofür wird Geld ausgegeben und welche Folgen, beabsichtigte und unbeabsichtigte, haben diese Maßnahmen und Projekte?

Aussagekräftige Daten, die Transparenz und Erkenntnisse über die Wirkung politischer Maßnahmen und gesellschaftlicher Dynamiken liefern, sind ein demokratischer Standard, der Verständigung und produktive Debatte ermöglicht. Im Bereich der Drogen- und Suchtpolitik gibt es bezüglich der Datenlage großen Nachholbedarf.

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse und offiziellen Berichte, die bereits vorliegen und ein deutliches Bild sprechen, müssen in politischen und öffentlichen Debatten endlich verhältnismäßige Beachtung finden. Politik und Polizeiarbeit müssen anhand ihrer tatsächlichen Ergebnisse (für gesellschaftliche Ziele wie Gesundheit und Sicherheit für alle) und nicht an ihren Behauptungen bewertet werden!

Zum Weiterlesen:

Der #MyBrainMyChoice-​Aktionsplan

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