Ein bewegendes Theaterstück über Menschen in Haft, Drogengebrauch, Ängste und Hoffnung
Durch Zufall wurden wir durch die Sozialen Medien darauf aufmerksam, dass BERLUN – eine Selbsthilfeinitiative von russischsprachigen Drogengebraucher*innen – an einer Theateraufführung beteiligt ist. Dieses außergewöhnliche Engagement ist uns einen Bericht in dieser Ausgabe des Drogenkurier wert. Wir nahmen also Kontakt zu BERLUN auf, um mehr über das Theaterstück zu erfahren.
Ging es in dem Theaterstück ausschließlich um drogengebrauchende Menschen mit Hafterfahrungen?
Ja, das Theaterstück ist mit und von Menschen mit Hafterfahrung, aber nicht alle sind aktive Drogengebraucher. Zwei von uns sind in der Substitutionsbehandlung. Aber wir haben eine lange Erfahrung mit Drogenkonsum und dadurch gab es auch sehr viele negative Auswirkungen auf unser Leben, die im Theaterstück gezeigt werden.
Spielte es eine Rolle in welchem Land die Inhaftierung stattfand?
Für das Stück nicht. Aber es ist ein großer Unterschied, in welchem Land man die Haftstrafe verbüßt hat. Ob es ein europäisches Land ist, oder ob es Russland, die Ukraine oder ein Land aus der ehemaligen Sowjetunion ist, zum Beispiel Kasachstan. Außerdem wirkt sich die Haltung der Gesellschaft gegenüber Drogenkonsumenten auf uns aus. Denn die Substitutionstherapie ist in Russland verboten. Und deshalb werden wir dort auch nicht wie Menschen behandelt. Wenn man in Russland ins Gefängnis kommt, geht man in den trockenen Entzug. Das ist sicher. Da gibt es keinen anderen Weg. Das ist sehr hart. In der Ukraine und in Kasachstan sieht man Drogenkonsumenten als kranke Menschen an und versucht ihnen zu helfen, indem sie behandelt werden.
Warum hat BERLUN bei dem Stück mitgespielt, was war die Idee dahinter?
Ich habe eine proaktive Lebenshaltung und glaube, dass meine Lebenserfahrung den Menschen helfen kann, die am Anfang des Weges stehen, den ich bereits zurückgelegt habe. Und all das kann man im Theater gut ausdrücken. Und das Theater gibt einem das Gefühl, geschätzt zu werden, dass man etwas wert ist, dass man das Richtige tut, dass man den Menschen nicht egal ist. Und die Gedanken kommen: wer bist du in diesem Leben? Dein Leben kann für andere sogar interessant sein. Das ist beeindruckend.
Wer waren die Zuschauer?
Gewöhnliche Menschen, die sich dafür interessieren, was in der Gesellschaft geschieht. Sie hatten in der Regel keine Hafterfahrung. Obwohl es natürlich sein kann, dass jemand eine solche Erfahrung gemacht hat. Aber nach der Aufführung unterhielten wir uns mit dem Publikum, und ich traf keine ehemaligen Häftlinge. Alle waren sehr interessiert. Manche ahnten nicht einmal, dass ich eine solche Erfahrung hatte, weil ich das nicht an die große Glocke hänge. Und man kann mir nicht wirklich ansehen, dass ich viele Jahre im Gefängnis verbracht habe.
Haben die Zuschauer gespürt, welche Gefühle Haft auslösen kann?
Es ist unmöglich, davon zu erzählen, dass ein Mensch es verstehen und nachempfinden kann. Man kann sowas nicht spüren, wenn man es nicht erlebt hat. Die Zuschauer konnten es nur von außen betrachten. Man kann das Gefängnis nur riechen, nur fühlen was es bedeutet, wenn man dort war.
Gab es Rückmeldungen aus dem Publikum, positive wie negative?
Ja, ich habe einen Energieschub bekommen, denn, wenn man zum dritten Mal aufgefordert wird, sich zu verbeugen, ist das natürlich toll. Und man sieht glückliche Gesichter und interessierte Blicke. Vor allem Leute, die mich schon vorher kannten und bei der Aufführung einige Details aus meinem Leben erfahren haben, bekamen wahrscheinlich eine andere Einstellung zu mir. Es gab Tränen, es gab Freude, es gab verschiedene Emotionen. Und jeder Auftritt ist etwas anders. Manche wirkten sehr angeregt, andere entsetzt, weil sie möglicherweise in deine Haut schlüpfen oder dein Leben und Erfahrungen durch das Prisma ihrer eigenen Wahrnehmung betrachten.
Wird es weitere Aufführungen geben?
Ich hoffe, ja. Ich habe den Regisseur gefragt. Er sagte, wenn das Publikum es wünscht, werden wir spielen. Das würde ich gerne tun.
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