Kick-​off der Ausstellung „(Über)Leben im Risikoumfeld“

Dieser Artikel erschien zuerst im Drogenkurier, dem Magazin des JES-​Bundesverbands. Wir danken dem JES-​Bundesverband für die Erlaubnis zur Zweitveröffentlichung. Alle Ausgaben des Drogenkuriers und das Bestellformular fürs Abo finden sich hier. Alle Ausgaben stehen zudem kostenlos als PDF-​Download zur Verfügung. Dieser Artikel stammt aus Ausgabe 141, die hier vollständig gelesen werden kann.

Autorin: Bina Klier (VISION e.V. /​ JES-​Bundesverband)

Die Ausstellung „(Über)Leben im Risikoumfeld“ ist aus einer explorativen Forschung zur Kartierung des Kölner Neumarkts entstanden. Sieben Drogen­gebrauchende Personen erhielten eine Einwegkamera und damit die Gelegenheit, eigenständig und ohne Vorgaben, ihren Alltag, ihre Erlebnisse, ihre Rou­tinen durch Fotografie festzuhalten. Im Anschluss wurden mit den Personen Interviews geführt, so dass sie die Möglichkeit hatten „ihren Schnappschuss“ mit noch mehr Input zu versehen.

Der Startschuss zur Ausstellung fiel auf den 27.01.2025 im Café Bach der Kölner Aidshilfe mit anschließender Talk­runde zwischen Daniel Deimel, Vertreter*innen des Gesundheitsamts, des aufsuchenden Suchtclearings sowie der Drogen- und Selbsthilfe Köln. Den Part der Drogen- und Selbsthilfe durfte ich übernehmen.

Besonders erfreut war ich, dass Mitwirkende und Personen aus der „Szene“ eingeladen wurden und dieser Einladung auch nachkamen.

Als ich im Café Bach eintraf, bestaunten bereits einige Besucher*innen die ca. 180 cm hohen Aufsteller mit Fotos und Interviews. Auch ich nahm mir erst einmal die Zeit, alles anzusehen. Schnell herrschte Einigkeit darüber, dass die Ausstellung gelungen ist und eine Möglichkeit bietet, der Mehrheitsgesellschaft „Zugang“ zu der Lebensrealität Drogen gebrauchender und teils wohnungsloser Menschen zu gewähren, ohne die meist bestehenden Berührungsängste.

Aus den zur Ausstellung gehörenden Interviews lässt sich klar entnehmen, dass sich Drogengebrauchende auch nicht wohl fühlen, es ihnen keinen Spaß macht unter den Augen aller zu konsumieren.

Besonders erfreut war ich, dass Mitwirkende und Personen aus der „Szene“ eingeladen wurden und dieser Einladung auch nachkamen. Es ist unerlässlich, mit den Menschen zu sprechen und nicht (nur) über sie.

Gegen 18 Uhr fanden sich alle Vertre­ter*innen und ­Daniel Deimel zur Talk­runde ein, die durch Paul von der AH Köln sehr empathisch und charmant moderiert wurde. Es entstand ein reger und konstruktiver Austausch, an dem sich auch das Publikum sowie die beiden Kon­su­ment*innen beteiligten, die noch einmal eine ganz andere Perspektive einbringen konnten.
Ich möchte an dieser Stelle noch auf die Eröffnungsfrage eingehen, die lautete: „Was hat der Titel der Ausstellung (Über)Leben im Risikoumfeld mit unserem Blickwinkel /​ Arbeitsfeld zu tun?“

Natürlich hatte jeder Teilnehmer*in des Gesprächs, einen Bezug zu der Thematik, jedoch rein im beruflichen Kontext. Das ist bei mir anders, da ich aufgrund meiner eigenen Biografie die Situation nicht nur von außen einschätzen kann – sondern diese Lebensrealität nur zu gut kenne.

Weshalb ich die Titelwahl der Ausstellung vielleicht auch besonders gelungen finde, während sicher einige sagen „,Überleben‘ ist das nicht etwas zu dramatisch?“ Aber Nein, ist es eben nicht.

Für viele Drogengebrauchende birgt die Szene viele Risiken und Gefahren – dies reicht von repressiven Maßnahmen und Kriminalisierung Drogengebrauchender bis hin zu sexuellen und gewalttätigen Übergriffen. Hinzu kommt, die psychische Belastung durch fortwährende Stigmatisierung und Diskriminierung. Die vielfach sensationslüsterne Berichterstattung ist ein enormer Treiber für Vorurteile und Abwertung. Im Fokus standen dann zumeist nur die Schilderungen von Passant*innen, Geschäftstreibenden usw. Aus den zur Ausstellung gehörenden Interviews lässt sich klar entnehmen, dass sich Drogengebrauchende auch nicht wohl fühlen, es ihnen keinen Spaß macht unter den Augen aller zu konsumieren, da sie keinen Rückzugsort haben. Sie müssen eigentlich alles, das die Mehrheit in der eigenen Wohnung erledigt, in der Öffentlichkeit tun. Szenetreffpunkte wie der Kölner Neumarkt, haben nicht nur Schattenseiten – für viele ist es auch ein Ort der sozialen Interaktion, teils sogar eine Konstante in ihrem Alltag. Aber dies wiegt die negativen Seiten keineswegs auf. Grundsätzlich ist es wünschenswert, dass ein anderes gesellschaftliches Bewusstsein für Drogengebrauch und Dro­gengebraucher*innen entsteht. Ich hoffe sehr, dass dieses Projekt einen Beitrag dazu leistet und es Blickwinkel verändert und Menschen für einen anderen Umgang mit Drogengebrauchenden sensibilisiert sowie Vorurteile abbaut.

Es ist ein tolles Projekt, vor allem dass Kon­sument*in­nen einbezogen wurden, sich beteiligen konnten und damit eine echte Stimme erhalten haben!

Der Begleitkatalog zur Ausstellung ist hier abrufbar.


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