Symbolbild: 2 bewaffnete Soldaten

Nichts daran funktioniert“ – Global Commission on Drug Policy fällt vernichtendes Urteil über den Drogenkrieg

Ein Artikel von Manisha Krishnan. Er erschien zuerst am 05.12.2024 im Filter Magazine. Wir danken für die Freigabe zur Übersetzung und Veröffentlichung bei uns im Blog. Das Online-​Magazin befasst sich aus dem Blickwinkel der Harm Reduction mit Drogengebrauch, Drogenpolitik und Menschenrechten. Folge ihnen auf Facebook und Twitter – und abonniere den Newsletter hier.

Aus dem Englischen von Kathrin Kulmus und Philine Edbauer (My Brain My Choice Initiative)

Die Vereinigten Staaten und Kanada sollten den Gebrauch und Besitz von Drogen vollständig entkriminalisieren, anstatt den gescheiterten Drogenkrieg fortzusetzen, heißt es im neuen Bericht der Global Commission on Drug Policy.

Im am 5. Dezember veröffentlichten Bericht mit dem Titel „Beyond Punishment: From Criminal Justice Responses to Drug Policy Reform“ (Jenseits der Strafverfolgung: Von strafrechtlichen Maßnahmen hin zu einer Reform der Drogenpolitik), werden die Staaten aufgefordert, Strategien umzusetzen, die den Fokus auf „Gesundheit, Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit“ legen. Der Bericht wurde von über 20 ehemaligen Präsident*innen, Ministerpräsident*innen und Diplomat*innen aus der ganzen Welt verfasst.

Der Bericht empfiehlt, die Verfügbarkeit von Opioid-​Ersatztherapien – etwa mit Methadon oder Buprenorphin –, von Programmen zur Vergabe sauberer Spritzen, Drogenkonsumräumen, Drug Checking und Naloxon auszuweiten. Um tödliche Überdosierungen zu verringern, sollten Regierungen sichere Versorgungsmodelle erforschen, bei denen Menschen mit einer Substanzgebrauchsstörung pharmazeutische Alternativen zu unregulierten Wirkstoffen angeboten werden.

Der Drogengebrauch selbst ist nicht das Problem. Er ist seit Jahrhunderten Teil menschlicher Gesellschaften. Das eigentliche Problem liegt in der Art und Weise, wie die Gesellschaft auf ihn reagiert.“

Die ehemalige UN-​Hochkommissarin für Menschenrechte, Louise Arbour, die an dem Bericht mitgewirkt hat, äußerte sich unmissverständlich zur Ineffektivität des Drogenkriegs.

Nichts daran funktioniert“, sagte sie gegenüber Filter. „Heute gibt es mehr Drogen, die günstiger und tödlicher sind und von mehr Menschen weltweit konsumiert werden als vor 60 Jahren, als der sogenannte Drogenkrieg begann. Gemessen an seinen eigenen Zielen ist er auf ganzer Linie gescheitert.“

Arbour, die zudem Richterin am Obersten Gerichtshof von Kanada war, bezeichnete das Streben nach einer drogenfreien Welt als „lächerlich“.

Obwohl Regierungen weltweit jährlich 100 Milliarden Dollar für die Prohibition ausgeben, nimmt der Drogengebrauch laut dem Bericht zu: Schätzungsweise 292 Millionen Menschen konsumierten 2022 verbotene Substanzen – 2002 waren es noch 185 Millionen. Cannabis bleibt die beliebteste Droge, obwohl es in Dutzenden von Ländern und 24 US-​Bundesstaaten entkriminalisiert oder legalisiert wurde.

Der Drogengebrauch selbst ist nicht das Problem. Er ist seit Jahrhunderten Teil menschlicher Gesellschaften. Das eigentliche Problem liegt in der Art und Weise, wie die Gesellschaft auf ihn reagiert“, heißt es in der Zusammenfassung der Kommission.

Ein Grund dafür, dass Fentanyl in den USA weit verbreitet ist, während es in Europa bislang kaum eine Rolle spielt, liegt im rigorosen Vorgehen der USA gegen Heroin.“

Dem Bericht zufolge hat die Prohibition zu einem Anstieg der Gewalt, einer Überlastung der Justiz und zunehmend toxischen Drogen geführt.

Ein Grund dafür, dass Fentanyl in den USA weit verbreitet ist, während es in Europa bislang kaum eine Rolle spielt, liegt im rigorosen Vorgehen der USA gegen Heroin“, erklärte Arbour. Sie betonte, dass die Entfernung einer Substanz vom Markt lediglich zur Folge habe, „dass sie direkt durch eine andere ersetzt wird.“ Der durch die Prohibition entstehende Marktdruck schaffe Anreize für die Produktion potenterer Substanzen.

Der Bericht führt aus, dass die Politik des Drogenkriegs eine Vielzahl von Menschenrechten verletzt und überproportional Schwarze, Indigene und People of Color schädigt. Im Jahr 2022 waren 40 % aller Afroamerikaner*innen in den Bundesgefängnissen der USA wegen Drogendelikten inhaftiert. Bei den Latinx lag diese Zahl bei 60 %.

Im Jahr 2023 wurden 40 % der weltweit bekannten Hinrichtungen für Drogendelikten vollstreckt.

Der designierte Präsident Donald Trump hat sich wiederholt für die Todesstrafe für den Schmuggel oder Verkauf von Drogen ausgesprochen. Während der Vorbereitungen auf seine zweite Präsidentschaft hat in den USA bereits eine heftige Gegenreaktion auf fortschrittliche Drogenpolitik eingesetzt: Oregon hat seine Entkriminalisierung rückgängig gemacht, und Kalifornien erlaubt die Zwangstherapie von obdachlosen Menschen, die Drogen konsumieren. In Philadelphia, dem Ursprung von „Tranq Dope“ – einer Mischung aus Opioiden und dem in der Tiermedizin verwendeten Beruhigungsmittel Xylazin – führt die Polizei regelmäßig Razzien im Stadtteil Kensington durch und nimmt dabei vor allem die vielen wohnungslosen Drogengebrauchenden ins Visier. Die Stadt baut ein 100 Millionen Dollar teures Entgiftungszentrum für 600 Menschen direkt neben einem Gefängnis.

Auch in Kanada gibt es Rückschritte. Ontario plant, zehn betreute Drogenkonsumräume zu schließen, und Britisch-​Kolumbien (BC) hat sein Pilotprojekt zur Entkriminalisierung gestoppt. Sowohl BC als auch Alberta erwägen, den Entzug unter Zwang durchzusetzen.

Die Rücknahme der Entkriminalisierung ist auf gesellschaftliche und wirtschaftliche Frustration über den öffentlichen Drogengebrauch und die sichtbare Armut zurückzuführen. Der Bericht erklärt jedoch: „Die Entkriminalisierung von Drogen ist nicht der Grund für die Wohnungskrise; die Kriminalisierung von Drogen wird dieses Problem ebenfalls nicht lösen. Der wahre Grund für die Wohnungsnot liegt in der Wohnungspolitik und der Ungleichheit, nicht in der Reform der Drogenpolitik.“

Wenn wir die Drogenpolitik von Grund auf neu entwerfen würden, würde dieses Modell lächerlich wirken. Es wäre das radikalste Vorgehen.

Arbour sieht die Wiederbelebung des Drogenkriegs als Teil einer breiteren Zunahme des Rechtspopulismus.

Laut Arbour gibt es „eine moralische Komponente. Die Strafverfolgung genießt hohes Ansehen, und deshalb erscheint es, zumindest auf den ersten Blick, für die breite Öffentlichkeit sehr attraktiv, mehr davon zu sehen“.

Sie gab jedoch zu bedenken, dass es nach Jahrzehnten der Prohibition schlicht schwer sein könne, über den Tellerrand hinauszublicken. Auch wenn diese nicht funktioniere, sei der Glaube stark, dass die weitere Ausweitung der Repression die Lösung darstelle.

Wenn wir die Drogenpolitik von Grund auf neu entwerfen würden, würde dieses Modell lächerlich wirken. Es wäre das radikalste Vorgehen“, sagte sie. „Wenn Sie den Tabakkonsum eindämmen wollten, würden Sie dann in Erwägung ziehen, Menschen, die rauchen, ins Gefängnis zu werfen und sie anschließend in den Zwangsentzug zu schicken? Sie einzusperren, um zu versuchen, sie von ihrer Sucht zu entwöhnen? Ich meine, das ist doch völlig undenkbar.“

Der Bericht äußert sich auch kritisch zu unfreiwilligen Rehabilitations- und Abstinenzprogrammen, bei denen Menschen, die einer Straftat beschuldigt werden, durch die Zustimmung zu einer Entzugstherapie einer Gefängnisstrafe entgehen können. Die Kommission betont die Möglichkeit, dass auch Menschen mit unproblematischem Drogengebrauch in solche Entzugsprogramme gezwungen werden. Unfreiwilliger Entzug kann das Risiko von Überdosierungen erhöhen, da die Betroffenen, die zur Abstinenz gezwungen wurden, die Einrichtung mit einer verringerten Toleranz verlassen.

Es ergibt keinen Sinn, jemanden zu behandeln, der kein Problem hat und nicht suchtkrank ist. Diese Menschen brauchen keine Behandlung. Was sie vielleicht brauchen, sind bessere Informationen und Produkte, damit sie wissen, was sie konsumieren“, sagt Arbour.

Was düstere Prophezeiungen betrifft, war die Legalisierung von Cannabis in Kanada im Jahr 2018 „das Nicht-​Ereignis des Jahrhunderts“. Doch nun können die Menschen selbst entscheiden, was sie konsumieren – einschließlich CBD oder Produkte, die keinen Rausch erzeugen.

Die Kommission stellt fest, dass die Legalisierung von Cannabis zu einer Verringerung illegaler Aktivitäten und zu besseren Gesundheitsresultaten geführt hat.

Den Gebrauch vieler gefährlicher Substanzen wie Tabak, Alkohol und Zucker haben wir durch Aufklärung und ähnliche Maßnahmen geregelt, nicht jedoch durch Prohibition“, so Arbour.

Ich denke, die Geschichte zeigt deutlich, dass die Menschen seit jeher entweder nach bewusstseinsverändernden Substanzen, Mitteln zur Schmerzbekämpfung oder einfach nur nach Vergnügen gesucht haben“, fügte sie hinzu. „Die Prohibition funktioniert offenkundig nicht, ebenso wenig wie alles, was der Menschheit den Zugang zu solchen Substanzen vollständig verwehren will.“

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