Dieser Artikel erschien zuerst im Drogenkurier, dem Magazin des JES-Bundesverbands. Wir danken dem JES-Bundesverband für die Erlaubnis zur Zweitveröffentlichung. Alle Ausgaben des Drogenkuriers und das Bestellformular fürs Abo finden sich hier. Alle Ausgaben stehen zudem kostenlos als PDF-Download zur Verfügung. Dieser Artikel stammt aus Ausgabe 138, die hier vollständig gelesen werden kann.
Autor*innen: Simon Fleißner und Maria Kuban
Die NALtrain-Abschlusskonferenz
Abschlusskonferenz klingt bereits nach Ende, dabei steht Take-Home-Naloxon auch nach vielen Jahren erst noch am Anfang einer flächendeckenden Umsetzung. Gemeinsam mit über 300 Einrichtungen und vielen engagierten Einzelpersonen haben wir im Rahmen von NALtrain daran gearbeitet, Take-Home-Naloxon als Lebensretter in Deutschland zu etablieren. Mit der NALtrain-Konferenz am 14. März 2024 in Frankfurt haben wir ein Zwischenfazit gezogen. Mit ca. 120 Teilnehmenden aus ganz Deutschland und unterschiedlichsten Einrichtungen, sind wir zuversichtlich, dass Take-Home-Naloxon in Deutschland zu einem nachhaltigen Baustein im Drogenhilfesystem werden kann. Im Folgenden möchten wir davon berichten:
Startschuss und Rückblick
Die Konferenz wurde mit Grußworten von Frau Dr. Katrin Lohmann vom Bundesministerium für Gesundheit, Burkhard Blienert, dem Beauftragten für Sucht- und Drogenfragen der Bundesregierung und Artur Schrörs, dem Leiter des Drogenreferats der Stadt Frankfurt, eröffnet. Mit dem ersten Vortrag haben Simon Fleißner und Dr. Bernd Werse das Projekt NALtrain vorgestellt und auf die ersten vorläufigen Ergebnisse von NALtrain geblickt:
72 Trainings in 38 Städten
851 ausgebildete NALtrainer*innen
Diese haben in 75 verschiedenen Städten Drogengebraucher*innen in der Anwendung von Naloxon geschult – dem eigentlichen Ziel von NALtrain und Take-Home-Naloxon.
2087 User*innen wurden erreicht und geschult
64,7% erhielten ein Rezept
63,9% erhielten direkt ein Naloxon-Nasenspray
Potentiale verschiedener Settings – 10 Minuten auf einer Parkbank
Aus allen vier Bereichen Streetwork, Justizvollzug, Substitutionsbehandlung und Entzugs- und Entwöhnungseinrichtungen wurde praxisnah von den Herausforderungen und Möglichkeiten von Naloxonschulungen berichtet. Cornelia Schartner präsentierte, wie im Streetwork durch die Unterstützung von Honorarkräften Kurzinterventionen auch in 10 Minuten auf einer Parkbank möglich sind. Dr. Helene Buchinger berichtete von Einzelschulungen im Strafvollzug. Dr. Annina Nolte-Reimer verdeutlichte, wie allen Substituierten in ihrer Praxis Naloxon verschrieben werden kann. Dr. Friedemann Hagenbuch hat als Vertreter der Entzugs- und Entwöhnungskliniken die Umsetzung im ZfP Emmendingen vorgestellt. Wir schließen uns gerne dem Fazit von Dr. Hagenbuch an: „Just do it! – es lohnt sich.“
Take-Home-Naloxon in Bayern und Europa
Nach der Stärkung in der Mensa hat Prof. Dr. Norbert Wodarz typische Vorbehalte den Ergebnissen aus dem bayerischen Naloxonprojekt (BayTHN) gegenübergestellt und entkräftet. Der Vortrag hat nochmals klar gezeigt: Eine Umsetzung von Take-Home-Naloxon in Deutschland ist möglich und sinnvoll! Auch bei NALtrain merken wir, dass in Bayern bereits viele Einrichtungen dauerhaft Naloxonschulungen anbieten. Anschließend gab Dr. Rebecca McDonald aus Oslo einen Überblick über Take-Home-Naloxon in Europa. Unter anderem hat sie betont, dass die Dosierung von 1,8 mg im derzeit verfügbaren Nasenspray ausreichend ist und auch andere europäische Länder Alternativen zur Verschreibungspflicht von Naloxon erproben, damit User einfacher in den Besitz von Naloxon kommen können.
Erfahrungsschätze der Teilnehmenden im Worldcafé
Mit dem Worldcafé gab es die Möglichkeit zum Erfahrungsaustausch und die Möglichkeit, Ideen aus dem Erfahrungsschatz der Teilnehmenden festzuhalten. Die erste Station hat sich mit der Frage befasst, wie Personen eigentlich für Naloxonschulungen motiviert werden können. Zentrale Aspekte dabei waren, mit Zusatzangebote zu werben (z. B. Essen anbieten), Peers einzubinden, in bestehende Angebote einbinden (z. B. Utensilienvergabe, PSB), regelmäßig Werbung machen und viele Mitarbeitende schulen. An der zweiten Station wurde diskutiert, wie es gelingt, Ärzt*innen besser für die Umsetzung von Take-Home-Naloxon einzubinden. Als herausfordernd wurde festgehalten, dass im Studium kaum Wissen zum Thema vermittelt wird, Zeit- und Kostendruck bei den Ärzt*innen herrscht und die Sorge vor Regress immer wieder aufkommt. Die dritte Station hat sich mit der nachhaltigen Implementierung von Take-Home-Naloxon in einer Einrichtung beschäftigt. Es braucht ein geschultes Kollegium, ausreichend Räume und Unterstützung des Trägers, verlässliche Kooperationen (z. B. zu Ärzt*innen), tragfähige Netzwerke und ausreichend finanziellen Spielraum.
Kontroversen oder sind wir uns eigentlich einig?
Für die Fishbowl haben wir uns zusammengefunden, um in großer Runde die Zukunft von Take-Home-Naloxon zu diskutieren. Grundsätzlich waren sich die Beteiligten einig, dass wir mehr Take-Home-Naloxon brauchen, am besten kosten- und verschreibungsfrei. Kontroverser wurde es, wie wir diese Ziele erreichen und wer eigentlich für die Veränderungen verantwortlich ist. Klar ist, es braucht gemeinsame Anstrengungen und ohne Finanzierung und der freien Verfügbarkeit von Naloxon wird es schwierig.
Geld und Ärzt*innen sind der Schlüssel?
Zum Abschluss der Konferenz stellte Iris Scheuberth die Finanzierung von Take-Home-Naloxon in Bayern dar. Mit der Finanzierung sowohl von Trainings, als auch Naloxonschulungen nimmt Bayern hier sicherlich eine Vorreiterrolle ein. Ähnliche Initiativen sind, bis auf einer Sachkostenbeihilfe in Rheinland-Pfalz, bisher noch nicht entstanden oder zumindest uns unbekannt. Ebenso häufig wie die Finanzierung, wurde sicherlich die Bedeutung der Ärzt*innen bei der Verschreibung von Naloxon erwähnt. Dr. Deborah Scholz-Hehn hat die Frage „Take-Home-Naloxon und die Rolle der Suchtmedizin – passt das zusammen?“ ganz klar mit „Ja“ beantwortet. Das ist gerade in Bezug auf die Zurückhaltung und Vorbehalte wichtig festzuhalten. Die Empfehlung, überzeugte Ärzt*innen beim Ansprechen der Kolleg*innen mit einzubinden, nehme auf jeden Fall ich mit.
Naloxon rettet Leben!
Das ist das Fazit aus unserer Abschlusskonferenz, die weniger Abschluss, sondern viel mehr ein Blick nach vorne ist. Die Konferenz hat auch wieder verdeutlicht, wie viele einzelne Personen sich für Take-Home-Naloxon einsetzen. Wir sind beeindruckt, welche Vielfalt an Teilnehmenden nach Frankfurt gekommen ist, um das Thema Take-Home-Naloxon voranzubringen. Hier nochmals an großes DANKESCHÖN an alle NALtrainer*innen!

Über die Autor*innen:
Simon Fleißner, Sozialarbeiter (MA), ist Projektkoordinator des Bundesmodellprojektes NALtrain zum Thema Take-Home-Naloxon am Institut für Suchtforschung Frankfurt, Doktorand an der Universität Bremen.
Maria Kuban leitet als Mitarbeiterin der Deutschen Aidshilfe e.V. das Projekt „RaFT Rapid Fentanyl Testing in Drogenkonsumräumen und Veranstaltungen“.
Über den Drogenkurier:
Seit 1990 informiert das Magazin über aktuelle Entwicklungen in den Bereichen „Leben mit Drogen“, Medizin, Fortbildungen und Medien. Alle Ausgaben und weiteren Informationen sind hier kostenlos als PDF abrufbar und im Print-Abo bestellbar.
Über den JES-Bundesverband e.V.:
JES (Junkies, Ehemalige und Substituierte) ist ein bundesweites Netzwerk von Gruppen, Vereinen, Initiativen und Einzelpersonen, die sich unter dem gemeinsamen Dach des JES Bundesverbands für die Interessen und Bedürfnisse Drogengebrauchender Menschen engagieren.