Warum der Staat zum Dealer werden muss

Dieser Artikel erschien zuerst im Drogenkurier, dem Magazin des JES-​Bundesverbands. Wir danken dem JES-​Bundesverband für die Erlaubnis zur Zweitveröffentlichung. Alle Ausgaben des Drogenkuriers und das Bestellformular fürs Abo finden sich hier. Alle Ausgaben stehen zudem kostenlos als PDF-​Download zur Verfügung. Dieser Artikel stammt aus Ausgabe 138, die hier vollständig gelesen werden kann.

Autor: Don Schreiber


50 Jahre Verbotspolitik und die katastrophalen Folgen

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass das Verbot bestimmter psychoaktiver Substanzen mehr Schaden anrichtet als nützt. Die Prohibition hat sich als gescheitertes Experiment erwiesen, das soziale und gesundheitliche Probleme verschärft, kriminelle Netzwerke gefördert; die individuellen Freiheiten der Menschen eingeschränkt und einen Staat geschaffen hat, in dem die Polizei das Recht hat, Menschen zu verfolgen und einzusperren, deren einziges Vergehen darin besteht eine Substanz zu konsumieren, die nicht auf der Agenda der weiß dominierten Mehrheitsgesellschaft steht.

Die Alkoholprohibition in den Vereinigten Staaten

In den 1920er Jahren wurden der Verkauf, die Herstellung und der Transport von Alkohol verboten. Anstatt den Alkoholkonsum zu reduzieren, führte das Verbot in erster Linie zu einem rasanten Anstieg der illegalen Alkoholproduktion. Zu mächtigen Kartellen aufgestiegene, kriminelle Banden kontrollierten den Schwarzmarkt. Die Prohibition schuf ein Umfeld des Verbrechens und der Unsicherheit, die Menge des verzehrten Alkohols änderte sich praktisch nicht. Die durch die Prohibition erwirtschafteten Gewinne wurden zu einem großen Teil dazu verwendet, Politik und Strafverfolgungsbehörden der jeweiligen Länder zu bestechen oder zu ermorden und die Politik dazu zu zwingen, die Gesetze in ihrem Sinne zu gestalten.

Die Drogenprohibition und die Büchse der Pandora

Heute sehen wir ähnliche Probleme im Zusammenhang mit der Prohibition von Drogen. Das Verbot von Substanzen wie Cannabis, Kokain und Heroin hat den professionellen internationalen Drogenhandel im großen Stil überhaupt erst möglich gemacht. Ihr mit Abstand größter und rentabelster „Geschäftsbereich“ ist und bleibt jedoch nach wie vor der Drogenhandel. Wenn mancher CSU-​Politiker angesichts der Cannabis Legalisierung jetzt von einer Büchse der Pandora spricht, die damit geöffnet werden würde, muss man entgegnen, dass die Verbotspolitik diese Büchse geöffnet hat. Sie ist durch das Verbot dieser psychoaktiven Substanzen nicht nur für das Entstehen von professionell arbeitender Drogenkartelle verantwortlich, sondern hat bestimmten Substanzen, speziell für jugendliche (Sub)kulturen einen Wert und geradezu identifikatorischer Bedeutung gegeben, den sie ohne niemals erhalten hätten. Man höre sich nur einen beliebigen Hip Hop-​Text an.

Stigma und Kriminalisierung trifft jene, die illegale Substanzen konsumieren

Gleichzeitig hat die Prohibition den Zugang zu qualitativ hochwertigen und kontrollierten Substanzen für Menschen mit Suchtproblemen erschwert. Der Effekt einer umfassenden Entkriminalisierung kann eindrucksvoll in Portugal beobachtet werden. Dort wurden alle Substanzen entkriminalisiert, was den Gesundheitsschutz der User deutlich verbessert hat. Seit dem Ende der Repression ist die Zahl der Drogentoten massiv zurückgegangen.

Das BtMG: Eine ideologische Verirrung im Strafrecht

Die Prohibition verletzt dieses grundlegende Prinzip der persönlichen Freiheit und dringt in die Privatsphäre der Menschen ein. Führende Rechtswissenschaftler sehen das geltende BtMG kritisch und nicht mit den grundlegenden Prinzipien der Rechtsprechung im Einklang. Drogenkonsumenten haben es satt, ein Leben im Elend und Repression zu führen, während gesellschaftlich akzeptierte Substanzen, wie Alkohol und Nikotin sogar beworben werden dürfen.

Wir sind es leid, in dunklen Ecken Substanzen zweifelhafter Qualität zu konsumieren. Wir sind es leid, von der Gesellschaft als Abschaum betrachtet zu werden.

Wir haben es satt, von der Polizei verfolgt und erniedrigt zu werden. Statt flächendeckend in allen Bundesländern Hilfe anzubieten, treibt man uns in Verelendung, Kriminalität, Knast oder geschlossene Abteilung.

Wir möchten einfach nur ein normales Leben führen ohne ständig gedemütigt und verfolgt zu werden. Uns wird unterstellt, wir wären psychisch schwach oder wir hätten einen Charakterfehler.

Wir nutzen Drogen, und manche von uns sind süchtig, aber gibt das dem Staat das Recht uns zu erniedrigen, zu verfolgen und einzusperren?

Wir sind einfach nur Menschen, die sich für den Konsum anderer Substanzen entschieden haben, als die von der Mehrheitsgesellschaft präferierten Substanzen Alkohol und Nikotin.

Die Repressionspolitik hat keinerlei Einfluss auf Angebot und Nachfrage von illegalen Substanzen, sondern bringt ausnahmslos negative Folgen für alle Beteiligten hervor.

Die Prohibition führt zu einer Verzerrung des Rechtssystems. Menschen, die lediglich verbotene Substanzen besitzen oder konsumieren, werden zu Kriminellen gemacht und mit empfindlichen Strafen belegt. Diese Strafen haben oft lebenslange Konsequenzen, indem sie den Zugang zu Bildung, Beschäftigung und anderen Möglichkeiten einschränken. Dies wirkt sich insbesondere auf benachteiligte Gemeinschaften und Minderheiten aus, die überproportional stark von den Auswirkungen der Prohibition betroffen sind.

Rassismus und Drogenpolitik

Die Anfänge der Drogenverbotspolitik zeigen, dass die Diskriminierung von Minderheiten und Rassismus die eigentlichen Motive der Prohibition waren: Am 17. Juni jährte sich ein beschämender Tag in der US-​Geschichte – es war der Tag, an dem Präsident Richard Nixon den bisher längsten und teuersten Krieg der US-​Regierung erklärte – den epischen Fehlschlag, den er als „Krieg gegen die Drogen“ bezeichnete. Auf einer Pressekonferenz an diesem Tag im Jahr 1971 bezeichnete Nixon den Drogenmissbrauch als „Staatsfeind Nummer eins in den Vereinigten Staaten“.

John Ehrlichman, Nixons Berater und Assistent für innenpolitische Angelegenheiten, enthüllte 1994 in einem Interview, dass der wahre Grund für den Start der War on Drugs Kampagne 1971 nicht wirklich der Drogenmissbrauch bzw. Gesundheitsschutz war. „Die Nixon-​Kampagne im Jahr 1968 und das Weiße Haus von Nixon danach hatten zwei Feinde: die Antikriegs-​Linke und die Schwarzen. … Wir wussten, dass wir es nicht illegal machen konnten, entweder gegen den Krieg oder Schwarz zu sein, aber indem wir die Öffentlichkeit dazu brachten, die Hippies mit Marihuana und die Schwarzen mit Heroin zu assoziieren, und dann beides stark kriminalisierten, konnten wir diese Gemeinschaften zerschlagen. Wir konnten ihre Anführer verhaften, ihre Häuser durchsuchen, ihre Treffen auflösen und sie Nacht für Nacht in den Abendnachrichten verunglimpfen. Wussten wir, dass wir wegen der Drogen gelogen haben? Natürlich wussten wir es.“

Der Staat muss zum Dealer werden!

Die Entkriminalisierung und Regulierung von Drogen, ist ein vielversprechender Weg, um die Probleme anzugehen, die mit ihrem Missbrauch verbunden sind. Indem wir den Markt regulieren, können wir die Qualität und Sicherheit der Drogen gewährleisten und den illegalen Handel eindämmen. Zum Beispiel hat Colorado im Jahr 2016 etwa 1 Millionen US-​Dollar an Steuern aus dem Verkauf von Marihuana erzielt. Ist die Zivilisation in Colorado zusammengebrochen? Nein, ist sie nicht, es rauchen genauso viele Menschen Cannabis wie früher. Es ist nur so, dass nicht mehr das organisierte Verbrechen davon profitiert, sondern der Staat. Dies ist die Antwort auf das immer wieder gern von bierseligen CSU-​Politikern abgegebene Statement „der Staat darf nicht zum Dealer werden.“ Das Gegenteil ist nötig: Der Staat muss zum Dealer werden! Alles andere ist populistisches Geschwafel, vom Alkohol als besonderem Kulturgut der weißen Mehrheitsgesellschaft, die alles andere unterdrückt und verfolgt. Äußerungen dieser Art zeigen, wie rassistisch und gegen jede Art Minderheiten gerichtet die gegenwärtige Drogenpolitik ist.


Die Links, Hervorhebungen und der Titel wurden nachträglich von MBMC hinzugefügt bzw. geändert. Der ursprüngliche Titel ist „Aufstehen gegen Prohibition“.

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