In vielen Medien ist das Thema ein Aufreger. Bei HIV kontrovers stand es diesmal auf der Agenda. Vor etwa 30 Anwesenden im Hotel Maritim in Köln vertraten Dr. Kristel Degener von der Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Köln und Prof Daniel Deimel von der Technischen Hochschule Nürnberg die unterschiedlichen Standpunkte. Als Co-Chair eingeladen war Renate Hermanns, Mitgliedsfrau im Vorstand von JES-NRW, um den beiden Kontrahenten ihre Fragen zu stellen.
Frau Dr. Degener vertrat die Kritik ihrer Klientel der Geschäftsleute u. a. rund um den Neumarkt, von denen immer häufiger Beschwerden zu hören waren. Dabei ging es nicht nur um den Konsum von Drogen, sondern auch um Verschmutzung von Hauseingängen durch Fäkalien und Abfall. Sie initiierte eine „Dreckweg-Aktion“, bei der auch sie selbst aktiv dabei war.
Prof. Deimel vertrat die Position, dass auch drogengebrauchende Menschen ein Recht haben, sich im öffentlichen Raum frei bewegen zu dürfen. Ihm war klar, dass damit Konflikte verbunden sind, wenn an stark frequentierten Plätzen wie dem Neumarkt unterschiedliche Menschen aufeinandertreffen. Er forderte, dass es dringend mehr Angebote geben müsse, die die Bedürfnisse der Konsumierenden berücksichtigen.
Der Moderator, Holger Wicht von der DAH bemühte sich um eine echte Kontroverse. Doch letztlich waren beide Diskussionsseiten der Meinung, dass nicht nur Geschäftsleute im Fokus stehen können. Auch für Konsumierende müsse mehr getan werden – insbesondere, wenn sie obdachlos sind. Das bewog ihn wohl dazu, auch Renate Hermanns zu ihrer Ansicht zu befragen, anstatt sie ihre Fragen stellen zu lassen. Renate wies darauf hin, dass gerade Vision in Köln schon viele „Dreck-Weg-Aktionen“ durchgeführt habe. Sie betonte, dass die Medien das Thema „Drogenkonsum im öffentlichen Raum“ lieber als Aufreger behandeln als sich um konstruktive Kritik und Lösungen zu bemühen und auch mal Positives zu berichten. Hier müsse die Aidshilfe zusammen mit JES versuchen, ein positiveres Bild in den Medien zu initiieren.
Einig waren sich letztlich alle Anwesenden, dass es mehr Rückzugsräume für drogenkonsumierende Menschen im öffentlichen Raum geben müsse. Dass dies nicht zuletzt an mangelnder Finanzierung scheitert, ist leider eine allen bekannte Tatsache. Durch den steigenden Druck der Öffentlichkeit, wird aber inzwischen an vielen Stellen über Lösungen nachgedacht, die nicht nur in Vertreibung und Polizeimaßnahmen enden.
Herausragend war die Darstellung von Patrick Maas, Geschäftsführer der Aidshilfe NRW, der aus seinem Kiez am Ebertplatz berichtete. Da gäbe es viele kleine Rückzugsorte für Menschen, die Drogen konsumieren. Es herrsche Toleranz und gegenseitiges Verständnis. Wenn mal jemand über die Stränge schlägt, wird beruhigend eingegriffen. Die Anwesenden dachten zunächst, er spräche über eine Utopie. Doch Patrick löste das gewollte Missverständnis auf: Er hatte die Kneipenszene am Ebertplatz beschrieben. Diese Verschiebung der Perspektive machte allen Anwesenden deutlich, dass auch die Betrachtung der „Drogenszene“ einen solchen Perspektivwechsel erfordert. Und das ist es genau, was JES auch schon immer fordert. Denn schließlich haben auch Drogengebaucher:innen ein Recht auf Menschenwürde!
Der Titel wurde geändert. Im Original lautet er: „Utopisch oder machbar? Ein kontrolliertes Umfeld für drogenkonsumierende Menschen im öffentlichen Raum“
#MyBrainMyChoice x Drogenkurier
Im #MyBrainMyChoice-Blog zweitveröffentlichen wir mit der Genehmigung des JES-Bundesverbands immer nur einen Teil ihres 4‑mal im Jahr erscheinenden Magazins. Die gesamten Ausgaben des „Drogenkuriers“ gibt es per Post oder als PDF-Download hier.
Über den Drogenkurier
Seit 1990 informiert das Magazin über aktuelle Entwicklungen in den Bereichen „Leben mit Drogen“, Medizin, Fortbildungen und Medien. Alle Ausgaben und weiteren Informationen sind hier kostenlos als PDF abrufbar und per Post bestellbar.
Über den JES-Bundesverband e.V.
JES (Junkies, Ehemalige und Substituierte) ist ein bundesweites Netzwerk von Gruppen, Vereinen, Initiativen und Einzelpersonen, die sich unter dem gemeinsamen Dach des JES Bundesverbands für die Interessen und Bedürfnisse drogengebrauchender Menschen engagieren.