Die Legalisierung von Cannabis-Besitzmengen, Eigenanbau und Anbauvereinigungen ist ein bemerkenswerter, lang erkämpfter Fortschritt für die Millionen von Konsumierenden in Deutschland ebenso wie für die Aktivist:innen andernorts, die auf einen fortlaufenden Dominoeffekt in Europa und weltweit hoffen. Dieser politische Schritt steht jedoch nicht im Widerspruch dazu, dem Drogenhandel mit denselben Strategien zu entgegnen, die seit Jahrzehnten den illegalen Handel weiter und weiter florieren und stärken lassen. Denn der neue, straffreie Rechtsrahmen für Cannabis erfasst nur einen Teil der Drogenökonomie; alles außerhalb des Rahmens soll noch stärker aufgespürt und abgestraft werden. Die Repression gegen den Handel von Cannabis und andere illegalisierte Substanzen weiter zu verschärfen, wird die bestehenden Probleme nicht lösen, sondern weiter eskalieren.
Die Bekämpfung des Drogenhandels ist seit Jahrzehnten längst offenkundig kontraproduktiv ersichtlich geworden — mit allen verheerenden Folgen für tatsächlich und angeblich drogengebrauchende und tatsächlich und angeblich drogenverkaufende Menschen.
Beim Anteil inhaftierter Menschen für Drogendelikte halten wir im internationalen Vergleich standardmäßig mit: Verurteilungen nach BtMG (ca. 14 Prozent, zweihäufigster Inhaftierungsgrund) plus ein Anteil unter den für „Beschaffungskriminalität“ Verurteilten ergeben je nach Schätzung (genau weiß man es nicht) mindestens 20 Prozent, das heißt, 9.000 Menschen oder Tausende mehr, die im Zusammenhang mit dem Drogenverbot die deutschen Gefängnisse bevölkern. Währenddessen bleiben die Konsumzahlen stabil oder steigen leicht an: 8,8% der deutschen Bevölkerung hat im Jahr 2021 mindestens einmal Cannabis konsumiert, 1,6% Kokain (Pulver oder Steine), 0,6% LSD.
Eine Besonderheit in Deutschland ist die Möglichkeit des Entzugs des Führerscheins ohne berauscht gefahren zu sein. Hoffentlich ist diese Rechtslage bei der Veröffentlichung dieses Artikels wenigstens für Cannabis endlich Geschichte. Den Betroffenen wird unterstellt, zwischen Fahren und Nicht-Fahren nicht unterscheiden zu können. Diese Maßregelung hat oft viel einschneidendere Auswirkungen auf Biographien als eine gerichtliche Geldstrafe, wenn man beispielsweise den Ausbildungsplatz nicht mehr erreichen, sich die teure MPU nicht leisten kann (oder sich die erniedrigende Praxis nicht antun will). Desweiteren scheinen Hausdurchsuchungen, Konfiszieren von Geräten und Telefonüberwachung Berichten von Konsumierenden zufolge ein gängiges Mittel der Justiz zu sein. Eine statistische Transparenz gibt es nicht; ein Skandal an sich. Dafür aber gibt es zuhauf Berichte von Betroffenen über schwere Überschreitungen der Privatsphäre und Traumata.
International betonen Menschenrechts-Expert*innen inzwischen die Erkenntnisse deutlich, dass repressive Drogenpolitik Gesellschaften, Nachbarschaften und Einzelnen systematisch schadet. Die Drogenpolitik begründet und verschärft die ungleichen Verhältnisse, denen arme Bevölkerungsgruppen, (cis/trans) Frauen und Minderheiten ausgesetzt sind. Drogenpolitik trifft auch in Deutschland nicht alle gleich. Beispielsweise gehen gesonderte Taskforces der Polizei gegen „öffentlich wahrnehmbaren“ Drogenhandel vor. Die Dokumentationen von Racial Profiling verdichten sich. Der meiste Drogenhandel geschieht währenddessen in Innenräumen. Eine demographische Auswertung der deutschen Drogenpolitik könnte Licht in die Menschenrechts-Lage in Deutschland bringen.
Aktuell begreift man den Drogenhandel einzig als Problem der Strafverfolgungsbehörden und Justiz. Es gibt und braucht aber Strategien aus allen gesellschaftlichen und politischen Bereichen. Die Global Commission on Drug Policy hat 2020 ihren Bericht über den Drogenhandel veröffentlicht, der die Empfehlungen und Erfahrungen von Expert*innen vor Ort aus verschiedenen Ländern versammelt. Nicht weniger, sondern ganz besonders bei den extremen Fällen gewalttätiger Kriminalität ist besonders sorgfältig zu prüfen, ob es den Einsatz von Strafverfolgungsbehörden wirklich mehr als nur am Rande braucht. Stattdessen sind wahrscheinlich nachhaltige und gezielt eingesetzte Programme der Sozial- und Wirtschaftspolitik wirksam zur Reduzierung von Gewalt und Not angesagt und nicht zuletzt eine ernsthafte Geldwäschebekämpfung gegen die ganz großen Summen.
Überall da, wo Menschen sind, gibt es Drogen. Dass sich die Nachfrage nicht bekämpfen lässt, hat sich momentan wohl als Wissen einigermaßen durchgesetzt. Aber wo es Nachfrage gibt, braucht es einen Markt. Einen legalen Markt umsichtig zu regulieren, gehört zur Lösung, auch wenn es keine einfache Aufgabe ist, weil legale Märkte auch ihre Probleme haben. Das Fortführen des krachend gescheiterten Drogenverbots ist aber keine Option.
Die Cannabis-Teil-Legalisierung hat gezeigt, dass komplexe politische Reformen in der Drogenpolitik möglich sind. Ich hoffe, diese Erfahrung bleibt uns trotz aller aktuellen Schwierigkeiten und Unklarheiten erhalten.
Es braucht uns, die die Probleme des Drogenverbots verstehen, um die weltweite Drogenbekämpfung eines Tages zu beenden.