Die drogenpolitische Initiative #mybrainmychoice fordert mittels einer Onlinepetition die Einrichtung einer Expert*innenkommission für eine neue Drogenpolitik. Diese Forderung ist ungemein wichtig und wurde zuvor bereits von den Herausgeber*innen und Redakteur*innen des Alternativen Drogen- und Suchtberichts gestellt. Drogenpolitik sollte evidenzbasiert und menschenfreundlich sein, zwei Merkmale, die aktuell nur beachtet werden, wenn sie der drogenpolitischen Opportunität der Politiker*innen dienlich sind, letztlich aber nur durch eine Expert*innenkommission wirklich sichergestellt werden können.
Größtes Hindernis für eine evidenzbasierte und humane Drogenpolitik ist der anachronistische und paternalistische Totalitarismus, auf dem das Drogenverbot und das pseudomedizinische Abstinenzgebot beruhen. Jedes Gramm muss beschlagnahmt werden! Jeder Konsum ist krankhaft! Damit sind die Betroffenen gleichzeitig kriminell und krank, beides per nicht oder schlecht begründeter Fremddefinition im Sinne einer gesellschaftlichen Etikettierung, die Bestrafung, Ausgrenzung, Stigmatisierung und Pathologisierung zur Folge hat und somit der direkte Auslöser und Verstärker jener Probleme ist, die angeblich verhindert werden sollen.
Drogenpolitik beruht aktuell kaum auf wissenschaftlich gewonnenen Fakten, sondern zumeist auf quasi-religiösen Glaubenssätzen, deren individuelle Einhaltung durch beteiligte Politiker*innen als persönliche „Stabilität“ gepriesen wird, sowie Parteiproporz, der das Amt der/des Drogenbeauftragte*n zum Gegenstand eines unsäglichen Postengeschachers macht, sodass keinerlei Fachkenntnis vorausgesetzt wird. Parteizugehörigkeit, Geschlecht und Linientreue sind die Merkmale, nach denen der Posten der/des Drogenbeauftragte*n vergeben wird.
Aus diesen Gründen gibt es aktuell und politisch gewollt keine Einbindung wissenschaftlicher Berater*innen in die Drogenpolitik, sondern lediglich Bedarfsforschung auf Bestellung, die ganz sicher die politisch gewünschten Ergebnisse bringt. Erstaunlicherweise liegt in der Entstehung dieses politischen Brachlandes ein Fortschritt, denn der ehemalige Drogen- und Suchtrat der Bundesregierung war ein abgeschottetes Gremium, dessen Teilnehmer*innen und Ratschläge teils krampfhaft geheim gehalten wurden. Und abgesehen davon, dass dieses Gremium ohnehin eher bürokratisch als wissenschaftlich ausgerichtet war, war die besagte ideologische Stabilität sowieso Teilnahmevoraussetzung.
Gute Drogenpolitik wäre eigentlich gar nicht so schwer zu machen. Es müssten lediglich einige einfache Grundannahmen gelten. Der meiste Drogenkonsum ist nicht nur gesundheitlich unproblematisch, sondern auch sozial und kulturell wertvoll. Konsument*innen aus dieser Gruppe sollten die Hauptzielgruppe von Drogenpolitik sein, ohne Kriminalisierung und Pathologisierung. Daher ist die Regulierung der Produktion und insbesondere der Qualität auf der Hersteller- und Angebotsseite das wichtigste Merkmal einer neuen Drogenpolitik.
Jener Teil der Konsument*innen, die gesundheitliche Probleme aufgrund ihres Drogenkonsums entwickeln, sollten nicht mit überzogenen und unrealistischen Abstinenzforderungen belastet werden. Dies ist selten erfolgreich und führt zu Stress, Stigmatisierung und Pathologisierung. In diesem Sinne ist professionelle Begleitung mittels niedrigschwelliger Angebote, Substitution und ambulanter Behandlung wichtiger als abstinenzorientierte stationäre Behandlung. Auch Prävention sollte nicht auf die Verhinderung von Konsum abzielen, sondern auf die Reduzierung schlechter Auswirkungen des Konsums, etwa bei der Wahl der Konsumform und der Vermeidung ansteckender Krankheiten und Notfällen in Form von Überdosierung.
Bleibt anzumerken, dass eine neue Drogenpolitik nicht nur die bestehenden Missstände aufheben müsste, sondern auch die bisher angerichteten Schäden wiedergutzumachen hat.
ÜBER DIE AUTOR:INNEN DES GASTBEITRAGS
Dr. Bernd Werse, Luise Klaus und Dr. Gerrit Kamphausen arbeiten am Centre for Drug Research der Goethe Universität Frankfurt und sind Mitglieder des Schildower Kreises. Dieser Beitrag ist im Rahmen der #mybrainmychoice-Kampagne für eine unabhängige Fachkommission zur Generalüberholung der deutschen Drogenpolitik entstanden.
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