Harm Reduction statt Drogenbekämpfung: Der Globale Überblick für 2024

Dieser Artikel erschien zuerst im Drogenkurier, dem Magazin des JES-​Bundesverbands. Wir danken dem JES-​Bundesverband für die Erlaubnis zur Zweitveröffentlichung. Alle Ausgaben des Drogenkuriers und das Bestellformular fürs Abo finden sich hier. Alle Ausgaben stehen zudem kostenlos als PDF-​Download zur Verfügung. Dieser Artikel stammt aus Ausgabe 140, die hier vollständig gelesen werden kann.

Autor: Dirk Schäffer

Der „Global State of Harm Reduction“ ist der einzige Bericht, der eine unabhängige Analyse der Schadensminderung in der Welt liefert. Die nunmehr neunte Ausgabe des Global State of Harm Reduction 2024 ist die umfassendste globale Bestandsaufnahme der Maßnahmen zur Schadensminderung bei Drogenkonsum, HIV und Virushepatitis.

Der Bericht wurde in Zusammenarbeit zwischen Vertreter*innen der Zivilgesellschaft sowie Wissenschaftler*innen erstellt. Der Bericht enthält 9 regionale Kapitel, die von Expert*innen aus der jeweiligen Region verfasst wurden.

Für das Kapitel „Western Europe“ wurde Dirk Schäffer (JES Bundesverband und Deutsche Aidshilfe) angefragt und war an der Erarbeitung der Inhalte beteiligt.

Nachfolgend wollen wir den Blick auf die weltweite Entwicklung zentraler Angebote der Schadensminderung lenken.

Spritzenvergabeprojekte +1

93 Länder bieten jetzt mindestens ein Nadel- und Spritzenprogramm (NSP) an, im Vergleich zu 92 im Jahr 2022. Während die Länder Brasilien, Bulgarien und Ghana solche Angebote neu ­einführten, wurden sie in der Dominikanischen Republik und in Guinea wieder eingestellt.

Substitutionsbehandlung +6

Angebote der Substitutionsbehandlung gibt es jetzt in 94 Ländern, verglichen mit 88 im Jahr 2022 – allerdings ist die Abdeckung nach wie vor unterschiedlich und begrenzt. Während die Substitutionsbehandlung in den Ländern Benin, Ägypten, Jordanien, Kuwait, Peru, Sierra Leone und den Vereinigten Arabischen Emirate neu einführt wurden, stellte Nigeria die Substitutionsbehandlung wieder ein.

Drogenkonsumräume +2

Die Zahl der Länder mit Drogenkonsumräumen (DCR) oder Zentren zur Prävention von Überdosierungen ist nach wie vor sehr gering, hat sich aber seit 2022 von 16 auf 18 erhöht. Die beiden neuen Länder auf dieser Liste sind Kolumbien und Sierra Leone.

Take Home Naloxon ‑1

Take Home Naloxon-​Programme gibt es jetzt in 34 Ländern, ein leichter Rückgang gegenüber 35 im Jahr 2022.

Safer Smoking Kits +6

25 Länder haben spezielle Projekte und Angebote zur Reduzierung der Risiken des inhalativen Konsum aufgelegt. So wurden solche Projekte in folgenden Ländern neu eingeführt: Südafrika, Bulgarien, Mexico, Puerto Rico, Griechenland und Irland.

In 108 Ländern ist Schadensminderung Teil der nationalen Politik

Insgesamt ist die Verfügbarkeit von Angeboten zur Schadensminimierung seit dem Bericht im Jahr 2022 leicht gestiegen. Allerdings bestehen nach wie vor erhebliche regionale Unterschiede. Die Stigmatisierung und Kriminalisierung von Menschen, die Drogen konsumieren, ist nach wie vor ein großes Problem. Sie behindern den Zugang zu bestehenden Angeboten zur Schadensminimierung und untergraben die politische und finanzielle Unterstützung, die für die Umsetzung und Ausweitung dieser Angebote erforderlich ist.

Die Unterfinanzierung der Schadensminderung

Angebote zur Schadensminimierung wie die Spritzenvergabe und die Substitutionsbehandlung sind wirksame und kostensparende Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit. Sie verbessern die Ergebnisse im Bereich der öffentlichen Gesundheit und tragen dazu bei, die mit dem Drogenkonsum verbundenen negativen sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen zu verringern. Trotzdem ist die Schadensminderung in den meisten Regionen stark unterfinanziert.

Jüngsten Untersuchungen zufolge standen in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen im Jahr 2022 151 Mio. USD für die Schadensminimierung zur Verfügung. Das sind nur 6 % der geschätzten 2,7 Mrd. USD, die bis 2025 jährlich benötigt werden. Dies bedeutet eine Finanzierungslücke von 94 %. Trotz globaler Verpflichtungen und internationaler Leitlinien zur HIV-​Prävention, die die Ausweitung von Angeboten zur Schadensminimierung unterstützen, ist die Finanzierung völlig unzureichend.

Die Zahl der internationalen Geberstaaten für die Schadensminimierung ist nach wie vor gering, so dass die Schadensminimierung von deren wechselnden Prioritäten abhängt. Die inländische Finanzierung der Schadensminderung ist sogar noch schwächer, und der Mangel an Daten hindert die Zivilgesellschaft daran, den Einsatz der Mittel zu überwachen und die Regierungen zur Verantwortung zu ziehen.


Der Gesamtbericht ist auf der Website von Harm Reduction International abrufbar (Englisch).

Die Links, Hervorhebungen und der Titel wurden nachträglich von MBMC hinzugefügt bzw. geändert. Der ursprüngliche Titel ist „Wie steht es um Harm Reduction in der Welt?“.

Mehr zu Harm Reduction/​Schadensminderung im #MyBrainMyChoice Blog:
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JES (Junkies, Ehemalige und Substituierte) ist ein bundesweites Netzwerk von Gruppen, Vereinen, Initiativen und Einzelpersonen, die sich unter dem gemeinsamen Dach des JES Bundesverbands für die Interessen und Bedürfnisse Drogengebrauchender Menschen engagieren. 

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