Ein Kommentar von Elli Schwarz zum neuen Eckpunkte-Papier des 2‑Säulen-Modells „Club Anbau & Regional-Modell / CARe“ – die überarbeiteten Pläne für den Gesetzentwurf – die am 12.4.2023 von Gesundheitsminister Karl Lauterbach und Agrarminister Cem Özdemir bei der Bundespressekonferenz bekannt gegeben wurden
Nach langem Warten hat Gesundheitsminister Karl Lauterbach gestern, am 12. April, die neuen Eckpunkte des Gesetzentwurfs zur legalen Regulierung von Cannabis vorgestellt. Diese Meldung lässt Hoffnung aufleben und bestärkt die Vermutungen, dass es einen zeitnahen, drogenpolitischen Wandel geben kann. Im Folgenden werde ich den Inhalt der neuen Eckpunkte aus meiner Perspektive zusammenfassen und kommentieren.
Am gestrigen Morgen haben sich die folgenden Kernziele des neuen Rahmens zur Legalisierung herauskristallisiert: Kinder- und Jugend‑, sowie Gesundheitsschutz verbessern; den Gebrauch von Cannabis entkriminalisieren; und den illegalen Markt verdrängen. Größtenteils wirkt dies sehr positiv in Hinblick auf die kommende Reform, da, wie auch Lauterbach betonte, der momentane Rechtsrahmen unwirksam ist, um Kinder und Jugendliche zu schützen sowie der öffentlichen Gesundheit gerecht zu werden und den illegalen Markt einzudämmen.
Während der Pressekonferenz konnte zum Thema internationale Verträge Klarheit geschaffen werden. Karl Lauterbach betonte mehrfach deutlich, dass es unwahrscheinlich zu einem Vertragsverletzungsverfahren durch die EU kommen wird. Die zahlreichen internationalen vertraglichen Regelungen werden nicht mehr als großes Hindernis angesehen, da sie es nicht sein müssen. Die “Interpretationslösung” setzt voraus, dass die Legalisierung auf der aktuellen Grundlage die Ziele der EU-Rahmenbedingungen, sowie des internationalen Drogenkontrollsystems durch die UN-Verträge von 1961 und 1971, unterstützt und einhält. Damit nutzt die Bundesregierung den vorhandenen Spielraum der Verträge, um die Cannabispolitik zu reformieren. Darüber hinaus realisiert die Bundesregierung, dass Deutschland ein Vorbild für Cannabisreformen in der gesamten EU sein kann. Dies ist ein starker Kontrast zu anfänglicher Zurückhaltung und zuvor verbreiteter Panik gegenüber der EU und internationalen Vereinbarungen. Mit dieser neuen Haltung gegenüber Deutschlands internationalen Verpflichtungen, stehen der drogenpolitischen Reform immer weniger unüberwindbar scheinende Barrieren im Weg.
Wiedergutmachung (aber nicht für alle)
Auch Amnestie würde auf Grundlage des aktuellen Gesetzesentwurfs erwirkt. Laut Lauterbach würden alle Einträge im Bundeszentralstrafregister für geringfügige Strafen wegen Besitzes von Cannabis gelöscht, sowie alle laufenden Verfahren zum Zeitpunkt des Gesetzeserlasses eingestellt. Diese Nachricht ist hoffnungsvoll und das Mindeste, was in Bezug auf (Vor)Strafen zur Entkriminalisierung geschehen sollte. Allerdings geht aus dem aktuellen Diskurs hervor, dass Strafen aufgrund des Verkaufs oder der Weitergabe von Cannabis nicht rückwirkend eingestellt oder gelöscht werden. Um jedoch den Bogen von Entkriminalisierung zur Legalisierung zu spannen, wäre letzteres ein wichtiger Punkt, der erneut zur Debatte gebracht werden sollte.
Ist der faire Marktzugang ein Ziel?
Weitestgehend wirkt der aktuelle Gesetzesentwurf fortschrittlich, jedoch gibt es auch kontroverse Details. Zum Beispiel das vorgeschlagene Modellprojekt in ausgewählten Bundesländern wirft noch Fragen auf. Staatlich geführte Abgabestellen sollen neben Cannabis Social Clubs (CSCs) und legalem Eigenanbau nur eine Möglichkeit sein, um an legales Cannabis aus Deutschland zu kommen. Allerdings öffnet dies die Türen für eine frühzeitige Übernahme des deutschen Cannabismarktes durch große, etablierte und in anderen Bereichen marktdominierende Unternehmen, wenn ausgewählte Firmen mehrere Jahre Zeit haben, um sich als Hauptbeteiligte zu etablieren. Es fehlen momentan noch Mechanismen, damit kleine Unternehmen auch eine gleichwertige Chance haben ins Cannabisgeschäft einzusteigen. Außerdem könnte mit diesen Projekten eine Disparität zwischen den Bundesländern entstehen, wenn Landesregierungen die Implementierung von öffentlichen Abgabestellen ablehnen. Beispielsweise ist dies im Angesicht des aktuellen CSU-geführten Diskurses um Cannabis und die Risiken einer Legalisierung in Bayern vorstellbar. Somit würde die Zugänglichkeit zu Cannabis von Ort zu Ort variieren und die Gebraucher*innen an den Grenzen der Bundesländer spalten. Daher muss die Verfügbarkeit gut geplant werden, um nicht ungewollt dem illegalen Markt mehr Raum in oppositionellen Bundesländern, und somit auch bundesweit, zu geben; oder ungewollt den Gebrauch anderer legaler Drogen zu fördern.
“Jugendschutz”
In Bezug auf Kinder- und Jugendschutz gibt es auch noch Unklarheiten, v.a. zur Aufklärung und zum strafrechtlichen Umgang mit Jugendlichen, die Cannabis ausprobieren oder gebrauchen: Werden Jugendliche weiterhin kriminalisiert, wenn die “kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken” kommt? Durch wen wird die Aufklärung durchgeführt und wie, wenn überhaupt, ändert sich die Aufklärung in Bezug auf andere legale, sowie illegale Drogen? Inwiefern spielt Schadensminimierung im neuen Gesetzesentwurf für Jugendliche eine Rolle? Werden auch andere sozialpolitische Aspekte mit einbezogen? – Da die Verbesserung des Kinder- und Jugendschutzes, mit Fokus auf gesundheitliche Aspekte durch eine neue Drogenpolitik eines der lobenswerten Hauptziele des Gesetzentwurfs ist, sollte das Thema detailreicher diskutiert werden, damit Jugendschutz nicht nur als performatives Modewort zum Vorschein kommt, sondern tatsächlich wirksamer wird.
Fazit
Alles in allem sind die aktuellen Eckpunkte ein gewaltiger Fortschritt, um eine bedeutende drogenpolitische Veränderung herbeizuführen. Vor allem in Bezug auf internationale Verträge und Amnestie gibt es Hoffnung. In meinen Augen sind die Grundsätze rund um Jugendschutz und Gesundheit ein solides Fundament, um eine gerechte und wirksame legale Regulierung von Cannabis für den Besitz, Handel und Gebrauch aufzustellen. Die Entkriminalisierung der Gebraucher*innen, sowie die teils zurückhaltende “Legalisierung light” ist dabei ein entscheidender Anfang. Sobald die EU-Kommission ihre Einschätzung zum aktuellen Entwurf abgegeben hat, müssen die bereits festgesetzten Punkte detaillierter diskutiert und ausgewertet werden. Im Rahmen dessen können auch weitere Aspekte zu sozialer Gerechtigkeit betrachtet werden. Dazu gehören, u. a., die (wissenschaftliche) Aufarbeitung aller Schäden, die das Verbot von Cannabis verursacht hat. Diese Aufarbeitung muss auch Nachteile, die auf tieferen strukturellen Problemen beruhen und disproportional verschiedene Bevölkerungsgruppen betreffen, einbeziehen. Auf Grundlage dessen müssen mehr geschlechtersensible, sowie antirassistische Aspekte in Bezug auf die legale Regulierung von Cannabis berücksichtigt werden. Diese Perspektiven werden momentan größtenteils vermisst; sind jedoch wichtig, um Amnestie, Gerechtigkeit, Jugend- und Gesundheitsschutz im Rahmen der kommenden drogenpolitischen Reform leisten zu können.
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