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Bild: Animal Avian Beak Birds von freestocks.org via Pexels

Interview mit Sebastian über Psychosen und Leistungsdruck

Sebastian* ist 28 und studiert in Berlin. Seit er 20 war, lies er sich wiederkehrend durch medikamentöse Therapien behandeln. Für 3 Monate hielt er sich in einer Klinik auf und lebte danach in einer therapeutischen WG. Es wurde eine sogenannte drogeninduzierte Psychose** diagnostiziert, die durch langjährigen und intensiven Cannabis- und Alkohol-​Konsum in seiner Jugend – in Verbindung mit Leistungsdruck und Ängsten – ausgelöst worden sei.


mybrainmychoice: Wie kann man sich den Substanzkonsum in deiner Jugend vorstellen? Warst du ständig bekifft?

Sebastian: Mit 15 /​ 16 habe ich angefangen, regelmäßig Cannabis zu rauchen, zusammen mit meinem Nachbarn. Meistens habe ich nur an den Wochenenden gekifft, und immer nur für ein paar Monate. Dann habe ich ein paar Monate lieber Alkohol getrunken, und danach wieder für ein paar Monate gekifft, und so weiter. Mir war sehr langweilig, ich hatte nichts Besseres zu tun.

Wie hast du deine erste Psychose bemerkt?
Und wie kam es, dass du in Therapie und später in Berlin ins Krankenhaus gegangen bist? 

Mit 16 /​ 17 bekam ich irrationale Ängste. Ich konnte nicht mehr schlafen. Meiner Mutter ist aufgefallen, dass ich mich vom einen auf den anderen Tag anders verhalten habe. Davor habe ich ununterbrochen geredet, und plötzlich war ich zurückgezogen. Ich habe mich nicht gut gefühlt und meine Mutter eines Tages gebeten, mit mir ins Krankenhaus zu fahren.
Mit 20 war ich dann zwei Jahre am Stück in Therapie und habe Neuroleptika und Antidepressiva genommen. Das hat erstmal geholfen.
Seitdem hatte ich weitere Psychosen und bin immer wieder in Therapien gegangen.
Ich hatte schon immer Identitätsschwierigkeiten, weil ich von meinem Umfeld nie dafür akzeptiert wurde, wer ich bin. Nach dem Umzug nach Berlin war es wieder sehr schwer für mich. Mein erstes Studium hat sehr viel Druck auf mich ausgeübt und ich kannte kaum Leute.

Du näherst dich gerade einem Leben ohne Medikamente. Wie machst du das?

Meine Psychiaterin hat gesagt, „Sie können Ihre Medikamente auch Ihr Leben lang nehmen, davon profitieren viele“. Pharmaindustrie, Ärzte und so weiter. (lacht) Aber sie hilft mir dabei, wieder ein Leben ohne Medikamente zu finden.
Ich achte darauf, mich nicht zu überlasten und viel zu schlafen. Schlaf ist das Wichtigste. Ich habe ein Studium gefunden, das zu mir passt, und fühle mich langsam wohl in meinem Umfeld.

Warst du dir über deine Situation immer im Klaren? Auch während der Wirkung der Medikamente?

Ich fühle mich auf den Medikamenten wie in einer Glasglocke. Das ist ein Gefühl der Benommenheit und Abkapselung, und wie ein „Restart“ im Gehirn.
Aber ja, ich war mir immer über meine Situation im Klaren. Für mich war es auch immer eindeutig, wenn ich gerade eine Psychose hatte, weil die Wahnvorstellungen so irreal sind. Ich habe aber auch Leute kennengelernt, die sie nicht von der Realität unterscheiden können.

Wie empfindest du die Einnahme dieser Substanzen?

Die Antidepressiva wie Xanax oder Cypralex haben mich vergesslich und gehässig gemacht, ohne Gewissensbisse zu bekommen. Ich war aber auch gut drauf und nicht so angreifbar. Schlafmittel haben mich einfach nur müde gemacht. Tavor, zum Beispiel, hat mich entspannt und ich war wie auf Trance.

Antidepressiva wie Xanax und Beruhigungsmittel wie Tavor machen aber süchtig. Und ich habe stark zugenommen.
Es ist aber wichtig, die Therapien durchzuhalten, auch wenn sie hart sind.
Man muss die Langeweile und Kreativlosigkeit aushalten. Es war schlimm für mich, manchmal so kaltherzig zu anderen Menschen zu sein. Oder dass es mir keine Freude bereitet hat, Musik zu hören.

Was meinst du mit „süchtig machen“?

Sie wirken schon nach der ersten Einnahme, anders als die meisten Antidepressiva, die von den Kassen bezahlt werden. Sie geben dir ein gutes Gefühl, ein anderes Gefühl, und haben kaum Nebenwirkungen. Von manchen Medikamenten ist es sehr schwer runterzukommen, wenn man sie eine gewisse Zeit lang nimmt. Ich habe Tavor nur 3 Monate nehmen müssen, da hatte ich noch nicht mit Entzugserscheinungen zu kämpfen. Aber bei manch anderen dauert die Therapie 1–2 Jahre oder länger.

Wie waren die anderen Leute in der Klinik?

Ich habe Journalisten und Manager kennengelernt, die dort mit mir waren. Viele waren bipolar. Mit den passenden Medikamenten sind sie aber voll funktionsfähig und so fällt es in ihrem Berufsalltag niemandem auf, dass sie eine Krankheit haben. Viele haben etwas, das man allgemein „Burn-​out“ nennt. Da steckt aber immer eine bestimmte psychische Krankheit dahinter.
Eine Psychiatrie ist wie ein normales Krankenhaus, nur sind manche Patienten sehr anstrengend und aufgedreht. Sie haben alles rausgehauen, was ihnen gerade durch den Kopf ging. Ich war immer ruhig. Musste aber mehrmals das Zimmer wechseln, weil mir die Mitpatienten auf die Nerven gingen. Aber trotzdem war es in Ordnung. Mit manchen bin ich nach wie vor befreundet und besuche Freunde in der Klinik, die ihre Therapie noch nicht geschafft haben.

Bereust du, dass du gekifft hast? Hätte man dich davon abhalten können?

Gar nicht. Ich würde es wahrscheinlich wieder machen. Hätte es Aufklärung gegeben, hätte ich trotzdem geraucht. Die Ängste habe ich erst entwickelt, als ich älter wurde und mir klar wurde, dass ich etwas Illegales tue und bestraft werden könnte. Ich hatte zunehmend Angst, damit in Schwierigkeiten zu kommen. Und ich habe mich nicht immer in einem angenehmen Setting aufgehalten. Vielleicht hätte ich aber die Psychose nicht bekommen, wenn ich andere Dinge zu tun gehabt hätte, also aktiver gewesen wäre mit Interessen und so.

Gab es in deiner Schule Aufklärungsprogramme?

Nein. Für Cannabis gar nicht. Man wollte vermutlich keine schlafenden Wölfe wecken: Sie dachten, wenn sie uns nichts über Cannabis erzählen, erfahren wir nicht, dass es das gibt…
Und auch nicht wirklich für Alkohol, aber das hätte man machen sollen. An meiner Schule gab es ein großes Alkoholproblem und man hat nicht wirklich darüber gesprochen. In den anderen Jahrgangsstufen, die noch schlimmer dran waren als wir, gab es mal kleine Programme, aber das war’s.

Was müsste man tun, um Jugendlichen zu helfen, die sich jetzt in deiner damaligen Situation befinden?

Institutionen sollten dafür sorgen, dass sich Jugendliche nicht langweilen. Also mehr Sport und andere Freizeitaktivitäten anbieten. Man kann sie durch Aufklärung nicht unbedingt abhalten, aber darauf hinweisen, dass das Gehirn erst ab etwa 23 Jahren ausgewachsen ist und davor leicht Schäden entstehen können. Dass es ein Glücksspiel ist und nunmal ein paar Leute Pech haben.
Man kann darauf hinweisen, lieber nicht unter Ängsten zu kiffen oder wenn man sich in seiner Umgebung nicht wohlfühlt. Wichtige Einflüsse auf das Konsumverhalten sind der Freundeskreis und was man während dem Kiffen macht.
Weniger Druck in der Schule würde helfen. Wir brauchen ein anderes Schulsystem mit weniger Leistungsdruck. Die Stigmatisierung bei schlechten Noten, fehlende Orientierung fürs Leben, was mit sich anfangen wissen… (überlegt) Der Kapitalismus ist ein Problem. (lacht)

Es gibt Jugendliche, die können mit Beziehungsproblemen nicht umgehen. Sie sind verklemmt. Mir ging es auch so. Ich habe mit Alkohol versucht, dass mir der Umgang leichter fällt. Das hat aber nicht geklappt, und dann habe ich den Alkohol immer mehr zur Kompensation getrunken. Man muss den Jungs eine Chance geben, sich nicht nach den Erwartungen zu verhalten.

Was wünschst du dir außerdem von der Drogenpolitik? 

Ich würde mir wünschen, dass es Drogen mit weniger Nebenwirkungen gibt. Und dass es Drogen gibt, die zu den Menschen passen, und man nicht erst selbst Erfahrungen sammeln muss. Es wäre schön, wenn Verlass auf die Wirkung wäre.
Und die Stigmatisierung von Psychiatrien und deren Patienten sollen aufhören. Es gibt so viele da draußen, die Psychosen oder andere psychische Krankheiten haben, und gar nicht in Behandlung gehen, und ihre Probleme wegsaufen versuchen. Aus Angst vor Stigmatisierung… Das ist am schlimmsten!
Es sollte klarwerden, dass es nunmal Menschen gibt, die Psychosen haben. Sie können nichts dafür, das ist eine synaptische Fehlstellung.
Eine Psychiatrie ist wie ein ganz normales Krankenhaus. Die Orte in den schlechten Kriminalromanen, wo Leute sind, die anderen Leuten geschadet haben, sind auf richterliche Anordnung in der Forensik! Das ist eine andere Situation. Man brauch vor psychisch Kranken Menschen keine Angst haben, sondern muss versuchen ihnen zu helfen. Exklusion oder diese einfach zu meiden ist nicht der richtige Weg. Sicher, es kann nicht allen geholfen werden. Es ist manchmal echt schwierig. Aber wenn sie einfach gemieden werden, dann kapseln sie sich vollkommen ab. Viele haben keine Familie und landen dann ganz schnell auf der Straße.

Der Leistungsdruck hat bei der Entwicklung deiner Krankheit eine Rolle gespielt. Was wünschst du dir von deinen Mitmenschen?

Wir brauchen einen offeneren Umgang zwischen Menschen. Menschen können gut kooperieren, müssen dazu aber erst Vertrauen aufbauen. Deshalb trinken Leute Alkohol. Dadurch können sie sich besser kennen lernen.
Menschen brauchen aber ein gesundes Selbstwertgefühl. Wenn wir von den Machtspielchen in der Leistungsgesellschaft wegkommen, würde man besser mit sich klarkommen können.

Wie offen gehst du mit deiner Krankheit um? 

Nur meine besten Freunde wissen davon. Ich habe schlechte Erfahrungen gemacht, dass Leute den Kontakt zu mir abgebrochen haben, als ich ihnen davon erzählt habe. Bei Arbeitgebern gebe ich lieber an, dass ich Depressionen habe. Das ist gesellschaftlich am akzeptiertesten.

Während unseres Gesprächs hast du fast durchgehend Zigaretten geraucht. Welche Rolle spielt das Rauchen für dich?

Das habe ich aus der Klinik mitgenommen. Da haben wir alle geraucht. Eine Zeit lang waren es Zigaretten aus der Schachtel. Über die hat man eine Übersicht. Schlimmer ist für mich der Tabak zum Selberdrehen. Ich kann solch eine Packung Tabak in zwei Tagen rauchen. Das Drehen ist eine Beschäftigung, an die ich mich in der Klinik gewöhnt habe. Unter den Medikamenten waren wir zu nichts anderem fähig und das Drehen und Rauchen lenken von der Langeweile ab. Jetzt bin ich süchtig, aber meine Freundin und ich haben uns vorgenommen, noch so bald wie möglich gemeinsam aufzuhören.***

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Philine Edbauer.


* Name geändert

** Hinweise zur sogenannten Drogeninduzierten Psychose:

1. Der Begriff „drogeninduzierte Psychose“ kann irreführend sein, wenn man unter „Drogen“ die in Deutschland illegalen Substanzen versteht. Zu den psychotropen bzw. psychoaktiven Substanzen gehört genauso Alkohol.

2. Über die Ursachen von Psychosen ist man sich noch nicht im Klaren. Dass Drogen – meist wird hier Cannabis genannt – ursächlich für die Entstehung von Psychosen verantwortlich seien, ist falsch. Ein relativ bekannter Gegenbeweis ist diese Langzeituntersuchung, bei der bei steigendem Cannabiskonsum die Häufigkeit von Schizophrenien gleichblieb. Aber: Eine momentan als naheliegend angenommene Psychose-​Theorie besagt, dass Psychosen bei manchen Menschen vorveranlagt sind und durch ein besonders intensives Erlebnis ausgelöst werden. Zu diesen Auslösern können Drogenerfahrungen gehören (siehe etwa dieses Infoblatt).

3. Im Interview werden bereits ein paar Safer Use-​Hinweise angesprochen. Bspw. bei Saferparty​.ch und Feel​-ok​.ch findest du weitere Informationen, wie der Konsum risikoarm gestaltbar ist und woran problematische Konsummuster erkennbar sind.

*** Das Interview ist vor 2 Monaten entstanden. Mittlerweile hat Sebastian aufgehört zu rauchen.


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