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Bild: Diana Polekhina (Unsplash)

Diamorphingestützte Behandlung – gibt es ein Kooperationsverbot?

Ein Bericht und Kommentar des JES-Bundesverbands

Dieser Artikel erschien zuerst im Drogenkurier, dem Magazin des JES-​Bundesverbands. Wir danken dem JES-​Bundesverband für die Erlaubnis zur Zweitveröffentlichung. Alle Ausgaben des Drogenkuriers und das Bestellformular fürs Abo finden sich hier. Alle Ausgaben stehen zudem kostenlos als PDF-​Download zur Verfügung. Dieser Artikel stammt aus Ausgabe 137, hier vollständig gelesen werden kann.


Bereits in der letzten Ausgabe des DROGENKURIER haben wir über das Thema Diamorphingestützte Behandlung ausführlich berichtet.

Deutschlandweit stehen aktuell 14 Diamorphinambulanzen Menschen mit ei­ner Opioidabhängigkeit zur Verfügung. Hier findet neben der Diamorphinbehandlung auch eine Behandlung mit den bisher üblichen Medikamenten statt. Der Schwerpunkt liegt in NRW mit Ambulanzen in Köln und Bonn, die bereits dem damaligen Modellprojekt angehörten und den neuen Ambulanzen der MEDIKUS-​Gruppe mit Standorten in Wuppertal, Düsseldorf, Dortmund-​Unna und Iserlohn. Weitere Standorte gibt es in Karlsruhe, München, Frankfurt, Hamburg, Berlin (2 Ambulanzen) sowie Stuttgart und Hannover.

Die kritische Betrachtung des neuen Modells der MEDIKUS-​Gruppe fand ihren vorläufigen Höhepunkt mit der Correctiv-​Recherche zum Thema Diamorphin im letzten September. Herr Schraven und Frau Bogdanski von Correctiv titelten:

Weißes Gold – Profite mit legalem Heroin“

Das Geschäft mit Diamorphin ist extrem lukrativ. Ein Arzt aus Nordrhein-​Westfalen hat mit seinen Partnern ein Business daraus gemacht. Über seine Firma können sich Schwerstsüchtige schnellstmöglich mit dem legalen Heroin versorgen. Seine Vision: Ambulanzen, die den Kick am Fließband produzieren. Einblicke in die private Medizinwirtschaft.“

Selbst eingefleischte Correctiv-​Fans ließ dieser Beitrag sprachlos und auch verständnislos zurück. Auch Diamor­phin­behandler*innen, Wissen­schaft­­ler*in­nen und Patient*innen fühlten sich aufgerufen, Gegenpositionen zu verfassen.

Hier wurde die MEDIKUS-​Gruppe bzw. Herr Dr. Plattner in einem Licht betrachtet, das selbst bei Kritiker*innen des MEDIKUS-​Modells Stirnrunzeln hervorgerufen haben muss. Es sollte suggeriert werden, dass ein verantwortungsloses und profitgieriges Ärzteteam junge Menschen „an die Nadel bringt“ und mit teurem Heroin ärztlich auf Kosten der Krankenkassen versorgt.

CORRECTIV weiter … „Es geht letztendlich um eine Opiatwelle, die nahezu unbemerkt über Deutschland hereinbricht und immer mehr Jugendliche und Erwachsene aus der Mitte der Gesellschaft verschlingt.“

Es wurde ferner der Versuch unternommen, das MEDIKUS-​Modell mit der amerikanischen Opioidkrise, verursacht durch einen tatsächlich verantwortungslosen und profitgierigen Pharmakonzern Namens PURDUE, zu vergleichen.

Diese Berichterstattung zeigte Wirkung

Die bereits in Planung oder im Bau befindlichen Ambulanzen der MEDIKUS-​Gruppe in Bielefeld, Dortmund und Essen waren fortan noch stärker umstritten. Wollte doch dort ein Arzt, nachdem sich Städte und Ärzte über mehr als ein Jahrzehnt nicht entscheiden konnten, selbst ein solches Angebot zu realisieren, eine Diamorphinbehandlung für Opioidkonsument*innen errichten. Da wir selbst nicht Teil dieser Auseinandersetzung waren, geht es hier nicht darum, einen Schuldigen zu benennen. Bemerkenswert ist nur, dass an allen drei potentiellen Standorten Himmel und Menschen in Bewegung gesetzt wurden, um eine Eröffnung zu verhindern.

Die Neufassung der Genehmigungs­praxis durch das Land NRW

Das Land NRW entschloss sich, die Genehmigungsverfahren für entsprechende Diamorphinambulanzen in einem entscheidenden Punkt zu verändern. Waren bisher mündliche Vereinbarungen über eine Kooperation der Diamorphinambulanz mit Drogenhilfeträgern, Krankenhäusern etc. ausreichend, um eine enge Verzahnung der Angebote richtigerweise zu erreichen, müssen diese Vereinbarungen nun schriftlich erfolgen.

So weit so gut. Das macht auch Sinn, könnte man denken, so ist zumindest die Kooperation zwischen wichtigen Playern im Sinne der Patient*innen geklärt.

Erleben Drogenhilfen sanften Druck?

Nun haben sich allerdings bei uns anonym Personen gemeldet und über informelle Gespräche berichteten, in denen ihnen „nahegelegt“ wurde, Anfragen der MEDIKUS-​Gruppe bezüglich einer Kooperation eher abzulehnen. Selbstverständlich wurde ihnen nicht verboten, eine Kooperation einzugehen.

Der Haken an der Sache ist, dass z. B. viele Drogenhilfen in NRW einen großen Teil ihrer finanziellen Mittel von der Stadt erhalten. So stellt sich die Frage, was passiert denn, wenn sie vielleicht doch gerne mit den Betreibern der neuen Standorte der MEDIKUS-​Gruppe, z. B. im Rahmen der psychosozialen Betreuung, kooperieren wollen?

Wir fragen uns an der Stelle, ob es nicht auch ein Kooperationsgebot geben muss, um Menschen, die zur Zielgruppe gehören, eine Behandlung zu ermöglichen, deren Wirksamkeit wissenschaftlich völlig unstrittig ist.

Was ist der aktuelle Stand?

In Essen haben die „Bemühungen“ der Träger nach unserer Kenntnis die Politik und das Bauamt auf den Plan gerufen. Die Eröffnung der Diamorphinambulanz, die fertig eingerichtet ist, wurde bis heute verweigert. Nachdem zuvor die Notwendigkeit einer Diamorphinambulanz in Frage gestellt wurde, gibt es Bestrebungen, eine städtische Ambulanz in Kooperation mit der Uniklinik Essen zu errichten.

In Dortmund ist die Praxis ebenfalls fertiggestellt, komplett eingerichtet und das Personal akquiriert. Alle Suchthilfeeinrichtungen haben eine Kooperation verweigert. Ohne schriftliche Kooperationsvereinbarung ist eine Eröffnung der Ambulanz nicht möglich. Nun stellt die Stadt Dortmund in Aussicht, mit Steuermitteln eine eigene Diamorphinambulanz zu errichten.

In Bielefeld fand am 1. März der „Tag der offenen Baustelle“ statt. Dort gibt es eine offene Haltung. Die Eröffnung der Ambulanz ist für Mitte des Jahres avisiert.


Kommentar des JES-Bundesverbands:

Wir möchten an dieser Stelle anmerken, dass uns die fachlichen Vorbehalte der städtischen Drogenhilfen, die sich sowohl auf das Menschenbild, aber auch eine fragwürdige Behandlungspraxis in den MEDIKUS-​Praxen beziehen (hohe Dosierungen, Benzodiazepinverordnung) bekannt sind. Unsere Besuche in den jeweiligen Praxen und Gespräche mit Patient*innen, aber auch den Ärzt*innen, haben zu einem gänzlich anderen Bild geführt. Selten haben wir eine so wertschätzende Praxiseinrichtung gesehen und mit Mitarbeiter*innen gesprochen, die überaus sympathisch und kompetent wirken. Berichte von Patient*innen spiegelten in keiner Weise die beschriebenen Vorbehalte wieder. Sondern ganz im Gegenteil. Dies schließt aber nicht aus, dass auch Erwartungen von neuen Patient*innen nicht erfüllt wurden, und sie sich enttäuscht abwandten. Es ist für uns aber schon erstaunlich, welche Kräfte die Drogenhilfe, die Städte und dort ansässige Ärzt*innen aufbringen um einen Betrieb der Ambulanzen durch MEDIKUS zu verhindern. Dort, wo vorher u. a. der Bedarf einer Diamorphinbehandlung in Abrede gestellt wurde, sollen nun eigene städtische Ambulanzen eröffnet werden. Die Veränderung der Genehmigungspraxis durch das Land NRW fiel sicher nicht einfach so vom Himmel.

Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Nachdenklich werden wir allerdings, wenn tatsächlich Träger mit sanftem Druck zu einer Kooperationsverweigerung gebracht werden.


Über den Drogenkurier:

Seit 1990 informiert das Magazin über aktuelle Entwicklungen in den Bereichen „Leben mit Drogen“, Medizin, Fortbildungen und Medien. Alle Ausgaben und weiteren Informationen sind hier kostenlos als PDF abrufbar und im Print-​Abo bestellbar.

Über den JES-​Bundesverband e.V.:

JES (Junkies, Ehemalige und Substituierte) ist ein bundesweites Netzwerk von Gruppen, Vereinen, Initiativen und Einzelpersonen, die sich unter dem gemeinsamen Dach des JES Bundesverbands für die Interessen und Bedürfnisse Drogengebrauchender Menschen engagieren. Weitere Infos hier

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