Immer wieder wird von Befürworter*innen der Legalisierung, auch im Parlament, argumentiert, man müsse die Cannabisprohibition beenden, um kriminellen Organisationen die Macht zu nehmen. Ich glaube nicht, dass dies eine realistische Einschätzung ist. Warum, erkläre ich in diesem Artikel.
Vorweg: Das schmälert natürlich nicht die Notwendigkeit, die Verbotspolitik zu beenden. Es gibt genügend andere dringende Gründe.
Die Behauptung, durch eine Legalisierung die illegale Ökonomie schwächen zu können, beruht wohl auf diesen zwei Annahmen:
- Angenommen wird eine Aufteilung des Marktes, in dem es auf der einen Seite illegale Anbieter gibt, die nur illegale Sachen machen und auf der anderen Seite legale bzw. zukünftig legale Anbieter, die nur legale Sachen machen. Man müsse die Nachfrage nur von der einen Seite zur anderen schieben und dann sei die illegale Seite geschwächt. Das macht an sich Sinn, hat aber mit der Realität wenig zu tun, solange nicht alle Länder der Welt alle viel nachgefragten illegalen Drogen gleichzeitig legalisieren. Es gibt viele andere illegale Produkte und Regionen, in die die Aktivitäten verlagert werden können. Wenn das Risiko steigt, steigt der Preis und/oder die Gewalt. (Es ist unwahrscheinlich, dass sich die illegale Wirtschaft auf den Verkauf an Jugendliche spezialisiert, solange diese vergleichsweise leichteren unerlaubten Zugang zum legalen Angebot haben.) Einer derjenigen, der betont, man solle dass Wachstum der illegalen Ökonomie nicht unterschätzen, ist Prof. Alfred McCoy. Ihr kennt ihn vielleicht als den Autor, der den Einfluss der CIA auf die Drogenproduktion in Südostasien aufgedeckt hat.
- Die zweite Annahme basiert darauf, dass die Illegalisierung von Drogen und das internationale Kontrollsystem eine wesentliche Rolle beim Entstehen der illegalen Ökonomie gespielt haben und sie weiterhin systematisch fördern. Aus dieser historischen Erkenntnis wird abgeleitet, dass im Umkehrschluss eine Regulierung diese Probleme zumindest weitgehend wieder rückgängig machen könne. Das funktioniert so aber leider längst nicht mehr. Diese jahrzehntelange Weltgeschichte und Verwebung von legaler und illegaler Ökonomie (u.a. durch Korruption, Banken und Prekarisierung von Arbeit) lässt sich mit einer Legalisierung nicht einfach beheben. In einer Analyse zu Mexiko wird bspw. dargelegt, dass es z.B. viel mehr darauf ankomme, den Rechtsstaat zu stabilisieren, damit eine Legalisierung einen erhofften Unterschied machen könne.
Ich habe euch einen Abschnitt aus einem Artikel von Kriminalitäts-Expertin Vanda Felbab-Brown übersetzt. Was ich oben darlegt habe, schildert sie konkret für die Lage Mexikos:
„Kann [eine Legalisierung in Mexiko] kriminelle Gruppen schwächen oder ihre Gewaltbereitschaft verringern? Auch hier lautet die Antwort: höchst unwahrscheinlich. Mexiko hat den Schock der Legalisierung bereits hinter sich – als Kalifornien und andere US-Bundesstaaten Cannabis für den Freizeitgebrauch legalisiert haben. Diese regulatorischen Änderungen in den Vereinigten Staaten haben sowohl die in Armut produzierenden Erzeuger von illegalem Marihuana in Mexiko als auch kriminelle Gruppen, die Cannabis in die Vereinigten Staaten geschmuggelt haben, verdrängt.
In Ermangelung einer wirksamen Strafverfolgung in Mexiko und bei den oft bescheidenen Löhnen für die Mitglieder der kriminellen Gruppen haben diese [kriminellen Gruppen] ihr Geschäft natürlich nicht aufgegeben und sich an einem Strand in Acapulco zur Ruhe gesetzt. Die kriminellen Gruppen haben sich angepasst, indem sie ihre Geschäftstätigkeiten auf die Erpressung sämtlicher lokaler Unternehmen ausgeweitet haben, unabhängig davon, ob diese in der illegalen oder legalen Wirtschaft tätig waren. Das neue, umfassende Ausmaß der Erpressungen ließ die Bevölkerung oft in viel stärkerem Maße Gewalt, Unsicherheit, Angst und Unterdrückung erfahren, als dies der Fall war, als der Cannabis-Schmuggel die lokale Wirtschaft dominierte.
Darüber hinaus bedeutete das Schrumpfen des Handelsmarktes auch, dass kriminelle Gruppen sich erbittert um die lokalen Anteile des Marktes für Erpressungen stritten – eine weitere Form der Gewalt, die die lokale Bevölkerung traf. Für viele Gemeinden in Mexiko wurde das Leben nach den Legalisierungen in den USA noch schlechter.
Fähigere und mächtigere kriminelle Gruppen mit umfangreicheren logistischen Kapazitäten stiegen zudem auf die Produktion von und den Handel mit Fentanyl um.“
Übersetzt aus: Opinion | Will Cannabis Legalization Reduce Crime in Mexico — Has It in the U.S.? von Venda Felbab-Brown in Mexiko Today, 23.4.2021
Was bedeutet das nun?
Die allgemeinen Probleme von Cannabisnutzer*innen mit dem Cannabisverbot sind 1) Kriminalisierung, also die politisch legitimierte Strafverfolgung, 2) die Stigmatisierung in der Gesellschaft, in der Familie, in der Schule, im Arbeitsmarkt und im Gesundheitssystem, und 3) auf den illegalen Markt ohne einen Verbraucherschutz mit entsprechenden Gesundheitsrisiken angewiesen zu sein.
Um Kriminalität und Korruption spürbar zu bekämpfen, braucht es einen anderen Zugang.
Für darauf spezialisierte zivilgesellschaftliche Organisationen sind unter anderem folgende Dinge zentral:
- Bekämpfung von Geldwäsche (in Deutschland ist zum Beispiel dringend eine personelle Aufstockung der staatlichen Kontrollbehörde nötig). Siehe z.B. die Arbeit der Bürgerinitiative Finanzwende.
- Ökonomische Sicherheit, sodass kriminelle Akteure sozio-ökonomische Not weniger zu ihrer Verfügung haben. (Das heißt, eine starke Investitions- statt Sparpolitik. Hierzu u.a. Ökonom Maurice Höfgen z.B. in seinem Newsletter „Geld für die Welt“ oder in eigener Sache: meine Teilzeit-Tätigkeit für eine menschenrechts-basierte und umfassend inklusive Arbeitsmarktpolitik.)
- Funktionierende, unabhängige Gerichte und Strafverfolgungsbehörden inkl. Polizei, sodass es Konsequenzen für Gewalttaten gibt. Siehe z.B. Artikel oben.
- Regional sinnvolle und wirksame Ansätze für rechtliche Rahmenbedingungen und Programme zur Wiederherstellung oder Stärkung öffentlicher Insitutionen. Damit einhergehend:
- Konsequenter Anti-Eurozentrismus und Anti-Rassismus in den Institutionen, Stafverfolgungsbehörden und in der Politik, um Probleme so gut es geht nicht zu verschieben. Entsprechende internationale Zusammenarbeit auf Augenhöhe, aber gleichzeitig auch:
- Stärkung der Handhabe gegen autokratische Regierungen, z.B. durch die Stärkung des Internationalen Strafgerichtshofs ICC.
Über die Autorin:
Als Co-Gründerin und Leitende Koordinatorin und Co-Gründerin der MyBrainMyChoice Initiative setzt Philine Edbauer sich seit über 6 Jahren für einen drogenpolitischen Kurswechsel in Deutschland und im internationalen Austausch mit weiteren zivilgesellschaftlichen Gruppen und Organisationen ein. Für ihre Masterarbeit hat sie die Verstrickungen von illegaler und legaler Ökonomie mit Geopolitik und nationaler sowie internationaler Drogenpolitik für eine Diskursanalyse des philippinischen Drogenkriegs herausgearbeitet. Den Bachelor hat sie in International Management abgeschlossen. Sie arbeitet im gemeinnützigen Bereich der europäischen Arbeitsmarktpolitik. (Zum Profil)
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