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Kategorie: Harm Reduction, Safer Use, Prävention & Sucht

SUBSTANZ, SET UND SETTING

Drogengebrauch geht mit kleineren oder größeren Risiken einher – je nach a) Substanz (ggf. Beimengungen und Mischkonsum), b) persönlicher Verfassung (bspw. Gesundheit, Stimmung, Konsummotivation und Erwartungen), c) Erfahrung, d) Konsumsituation (bspw. und e) politischen Rahmenbedingungen (bspw. Stress wegen polizeilicher Verfolgung, kein Zugang zu sauberer Qualität, unklare Dosis), f) Praktiken der Strafverfolgungsbehörden (bspw. Rassismus und Armutsdiskriminierung), g) Ausstattung des Gesundheits- und Hilfesystems (bspw. keine universelle Krankenversicherung in den USA oder Haushaltskürzungen in Deutschland).

SUCHT

Der Großteil der Drogengebrauchenden erlebt keine Sucht. Die Definition von „Sucht“ ist bestenfalls immer nur eine Annäherung an die Situationen der Menschen. Ebenso wie bei der Depression, ist es aber in jeden Fall vermessen, sie nur als ein individuelles Problem zu beschreiben und behandeln. Eine substanzbedinge Abhängigkeit mit Leidensdruck bewegt sich immer im Kontext von Drogenpolitik, Stigma, ökonomischer und sozialer Lebenssituation, ggf. Haft. Inwieweit innere und äußere Faktoren eine Rolle für die Behandlung spielen, kann individuell geklärt werden.

HARM REDUCTION

Harm Reduction umfasst alle Maßnahmen, die Lebensqualität verbessern. Und zwar aus der Sicht derjenigen, die das Leben leben. Vertrauen, Respekt und das Wissen und Erleben von Gebraucher:innen legaler und illegaler Drogen, mit und ohne Sucht, sind maßgeblich. Damit Harm Reduction nicht nur hinter den Schäden kriminalisierender und stigmatisierender Drogen- und Suchtpolitik aufräumt, umfasst das Konzept ebenso die politische Forderung nach einer evidenzbasierten, entmoralisierten drogenpolitischen Reform. Harm Reduction ist das Gegenmodell zur prohibitiven Drogenpolitik sowie zum Abstinenzziel als ausschließlicher Bedingung für das Gewähren von Suchthilfe.

SUCHTBEHANDLUNG, BERATUNG UND NOTHILFE

Zum Thema Suchtbehandlung empfehlen wir neben den Beiträgen im Blog zum Weiterlesen:
Leitbild akzeptierende Drogenarbeit

Beispielsweise der Notdienst Berlin ist (ebenso auch bei weniger dringlichen Fragen) unverbindlich, kostenlos und anonym erreichbar: Vor Ort, per Chat oder Telefon

PRÄVENTION

Zum Thema Prävention empfehlen wir neben den Beiträgen im Blog zum Weiterlesen:
Das REBOUND Lebenskompetenz- und Risikokompetenzprogramm der Finder Akademie
Das Konzept der Drogenmündigkeit von Prof. Gundula Barsch

SAFE/​R USE

Einige Initiativen und Websiten, die Informationen zu Safe/​r Use bereitstellen, haben wir hier aufgelistet: Safe/​r Use Unter der Berücksichtigung einiger Hinweise lassen sich Konsumrisiken und schlechte Trips auf ein Minimum reduzieren.

Was Harm Reduction ist und warum wir mehr davon brauchen

Ein Hintergrundartikel von Melissa Scharwey

Was ist Harm Reduction?

Wortwörtlich übersetzt bedeutet harm reduction „Schadensreduzierung.“ Obwohl die Entwicklung erster harm reduction-Maßnahmen schon in den 1920er-​Jahren begann, ist das Prinzip erst in den 1980er-​Jahren bekannt geworden. In dieser Zeit wurden erstmals Spritzenprogramme als Antwort auf die HIV-​Ausbreitung unter Menschen, die Drogen injizieren, eingesetzt. Das oberste Ziel von harm reduction ist es, mögliche Schäden von Drogengebrauch mit sogenannten safer use-Praktiken zu reduzieren oder zu verhindern.1

Typische Beispiele für harm reduction-Angebote sind:

Die Erfindung der „Sucht“ und ihre schwerwiegenden Konsequenzen

Wenn von „Sucht“ gesprochen wird, hat man schnell Bilder vor Augen, was damit gemeint ist. Korbinian Baumer argumentiert dafür, genauer hinzusehen, weil sich die Vorstellungen, die wir von „Sucht“ haben – ob als persönliches Versagen oder als Krankheit – schädlich auswirken. Für seine Masterarbeit hat er zu „Sucht“ und Stigmatisierung in Dar es Salaam (Tansania) geforscht und für #mybrainmychoice den theoretischen Teil seiner Arbeit zusammengefasst.

Sucht“ – dieser Begriff ist in der heutigen Zeit nicht mehr wegzudenken, kaum eine Diagnose ist in der Gegenwartsgesellschaft so verbreitet. Jede erdenkliche menschliche Handlungsweise kann durch das Suffix „Sucht“ in ein problematisches Verhalten verwandelt werden (Dollinger & Schmidt-​Semisch 2007: 7). Das Spektrum reicht hierbei von den „klassischen“ Drogensüchten bis hin zu Substanz-​ungebundenen „Süchten“ wie zum Beispiel „Sexsucht“, „Spielsucht“, „Internetsucht“ oder „Fettsucht“. Bücher, die es der*dem Leser*in erleichtern sollen, sich aus den Fängen ihrer*seiner „Sucht“ zu befreien, sind zu einem Kassenschlager avanciert. Der Begriff „Sucht“ ist fest in unserer Alltagssprache verankert, wenngleich er nur selten wirklich hinterfragt wird. Auch in der Wissenschaft hat sich das Suchtkonzept derart verfestigt, dass es von der Mehrheit der wissenschaftlichen Gemeinde kaum noch als hinterfragbare Theorie angesehen wird (Frenk & Dar 2000: 1), obwohl es keine eindeutige, auf hinreichenden wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhende Definition für dieses Konzept gibt: „addiction is a muddy term [which] […] has passed into that group of terms that elude precise definition“ (Ray & Ksir 1987: 24,26).

Interview mit M. über Substitution und das Frankfurter Bahnhofsviertel

M. gab Philine im November 2018 eine Führung durch die Straßen des Frankfurter Bahnhofsviertels, die bekannt für ihre sichtbaren Drogenkonsument*innen und ihre Drogenkonsumräume sind. M. hat mehrere Jahre Heroin konsumiert, bevor sie vor zwei Jahren ein Substitutionsprogramm begann. Im Interview erklärt sie Abläufe von Substutionsprogrammen und erzählt, wie sich Innen- und Außenperspektiven vom Frankfurter Bahnhofsviertel unterscheiden. M. spricht außerdem über das politische Spannungsfeld zwischen der Unterstützung von Konsumierenden in schwierigen Situationen und ihrer Verdrängung aus dem Stadtbild.


mybrainmychoice: Wie kam es, dass du einen Substitutionsarzt aufgesucht hast?

M.: Das hat sich gewissermaßen logisch ergeben. Ich war mit meiner Abhängigkeit an einen Krisenpunkt gekommen, die Situation hat mich zunehmend eingeschränkt und Alternativen wie selbstorganisiert oder stationär entziehen kamen aus verschiedenen Gründen nicht infrage. Da ging ich zu einer der niedrigschwelligen Einrichtungen im Bahnhofsviertel, ließ mich beraten und kam zum Glück innerhalb kurzer Zeit bei einem Arzt unter.