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Bild: Carolin Thiergart (Unsplash)

Warum Deutschland Drug Checking braucht

Ein Beitrag zum International Drug Checking Day von Philine Edbauer

Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag vereinbart, dass „Modelle zum Drugchecking und Maßnahmen der Schadensminderung [ermöglicht und ausgebaut werden]“ (Seite 87). Drug Checking ist zwar nicht illegal, aber befindet sich in einer Grauzone. Mit gutem Willen können die Bundesländer Lösungen finden. Thüringen macht es in kleinem Umfang vor. Berlin befindet sich in der Vorbereitung eines Stadt-​umfassenden Projekts (das mitunter deswegen seit ein paar Jahren sensibel für einige Verzögerungen ist). 

Drug Checking ist meist mit dem Party- und Festivalkontext assoziiert, aber grundsätzlich bezeichnet es einen Service für die Gebraucher:innen aller illegalisierter Drogen und funktioniert im Kern so: Konsumierende bringen die illegal erworbenen Substanzen zu mobilen oder stationären Laboren und erfahren im Gespräch mit Fachleuten aus dem Bereich der Drogenhilfe, was in den Substanzen enthalten ist und in welcher Dosis. Die Ergebnisse werden außerdem an Gesundheitsämter und Kliniken übermittelt, die so besser auf Notfälle reagieren können sowie an Initiativen weitergegeben, die Pillenwarnungen verbreiten.

Heute ist der International Drug Checking Day, der auf die dringende Notwendigkeit dieser Maßnahme aufmerksam machen soll. Warum es erstrebenswert ist, Drug Checking in allen Bundesländern einzuführen und die Hindernisse auf Bundesebene aufzuheben, zeigen die folgende 7 Gründe. Im Anschluss wird auf häufige Bedenken eingegangen.

1. Österreich und die Schweiz haben es auch…

…und versorgen uns bereits mit Pillenwarnungen (z.B. in der KnowDrugs App). Durch die Entfernung, d.h. möglicherweise verschiedene Angebote von Region zu Region, sind sie allerdings weniger verlässlich. Ecstasy-​Pillen sind selbst bei gleichem Aussehen schon nicht zwingend identisch zusammengesetzt, aber bei Drogen in Pulverform oder Pflanzen wie insb. Cannabis hört die Aussagekraft von Warnungmeldungen jenseits derselben Party schon fast auf.

Weitere Länder mit Drug Checking (offiziell und informell geduldet): Spanien, Frankreich, Niederlande, Luxemburg, Belgien, Polen, Slowenien, Polen, Portugal, Neuseeland, USA, Uruguay, Kolumbien (bei uns im Blog vorgestellt) und weitere. Auch in der Ukraine wurde Drug Checking etabliert.

2. Weil es um mehr als Drug Checking geht…

…und zwar um den Kontakt zwischen Konsumierenden und Fachleuten. In einer Gesellschaft, die Sucht und Probleme mit Drogen stigmatisiert, werden selbst niedrigschwellige, akzeptierende Angebot zu wenig wahrgenommen. Dabei ist es völlig normal und menschlich, mit Drogen nicht nur 100% performen zu können oder nicht über alles Bescheid zu wissen. Auch wenn man aktuell keinen Bedarf an weitergehender Beratung hat, weiß man zukünftig, wo man für sich selbst oder Angehörige Unterstützung aufsuchen kann und nicht verurteilt wird.

3. Außerdem…

…bekommt man Fragen zu Drogen, Dosis, Set und Setting von Fachleuten beantwortet und sich muss sich nicht auf Halbwissen aus dem Freundeskreis oder Internet verlassen. Was für die einen im Freundeskreis gut funktioniert, kann für einen selbst anders laufen.

4. Safer Use!

Sicherer Drogengebrauch ist möglich. Die einen Substanzen sind zwar schwieriger zu handhaben als andere, aber das heißt nur, dass Verbraucher:innenschutz und die passende Vermittlung von Wissen über Safer Use umso wichtiger sind. Hundertprozentige Sicherheit gibt es wie bei nichts im Leben und Risiken sollen gut abgewogen werden, aber sie lassen sich maßgeblich reduzieren und ungewollte Schäden durch falschen Gebrauch lassen sich abwenden. Ein wichtiges Thema sind dabei z.B. auch die oft unterschätzten oder nicht bekannten Gefahren von Mischkonsum etwa mit Alkohol. Die illegalen Bedingungen erschweren sichere Rahmenbedingungen, aber Drug Checking ist eine Intervention, die in diesem informellen Bereich positiv wirkt.

5. Weil die Qualität steigt.

Wenn die Endkund:innen schlechte Qualität bei ihren Händler:innen reklamieren, hat dies positive Auswirkungen auf die angebotene Qualität, wie Umfragen nahelegen. 

Participants identified a number of potential impacts that could result in improved supply including being able to select different sources, demand better products, and testing products for sale. Further, as participants noted, drug checking would allow people who sell substances to also seek out better sources and create pressure higher up in the chain. This pressure could help change the way substances are being cut or mixed to result in improved supply.“ (Wallace et al., 2021)

Darüber hinaus ließe sich das Problem von schädlichen Beimengungen und unklarer Dosis weiter reduzieren, wenn Dealer:innen ins Drug Checking involviert werden. An welcher Stelle der Lieferkette die Streckungen stattfinden, ist intransparent, aber es gibt auch initiativ das Interesse von Personen, die in den illegalen Strukturen arbeiten, gute Qualität zu verkaufen: Eine andere Untersuchung in den USA hat gezeigt, dass Dealer Möglichkeiten zum Drug Checking wahrnehmen, um sicherzugehen, dass sie nicht unwissentlich Fentanyl verkaufen: “I couldn’t live with killing one of my friends or anybody”: A rapid ethnographic study of drug sellers’ use of drug checking, Betsos et al., 2021)

6. Weil es funktioniert!

Begleitstudien (wie z.B. die von diese von The Loop in UK) haben folgende generellen Erkenntnisse gewonnen:

  1. Safer Use-​Verhalten wird erlernt und in den Freundeskreis weitergetragen
  2. Die Dosis wird verringert und Abstände zwischen zwei Einnahmen vergrößert, was das Risiko von Überdosierungen reduziert
  3. Substanzen mit schlechter Qualität oder anderen Inhaltsstoffen als erwartet, werden weggeschmissen oder vorsichtiger konsumiert
  4. Weniger Mischkonsum
  5. Nur selten werden infolge von Drug Checking-​Ergebnissen höhere Dosen als ursprünglich geplant eingenommen

Eine Studie unter Partygänger:innen in Berlin von vor 3 Jahren hat ergeben, dass ein sehr großes Interesse an Drug Checking bestehe und es ihnen bewusstere Konsumentscheidungen ermöglichen würde.

The vast majority of participants (92%) stated that they would use drug checking, if existent. If the test revealed the sample to contain a high amount of active ingredient, 91% indicated to take less of the substance than usual. Two-​thirds (66%) would discharge the sample if it contained an unexpected/​unwanted agent along with the intended substance. If the sample contained only unexpected/​unwanted substances and not the intended substance at all, 93% stated to discharge the sample. Additional brief counseling was stated to be useful.“ (Aus dem Abstract; Betzler et al., 2019)

7. Weil es diverse Fachleute und Organisationen empfehlen.

Die Deutsche Aidshilfe, der Bundesverband Akzept e.V. und die Mitglieder des Expert:innen-Netzwerks Schildower Kreis sowie weitere Autor:innen des Alternativen Drogen- und Suchtberichts argumentieren wiederholt für die Einführung von Drug Checking. 

Das offizielle EMCDDA (European Monitoring Center for Drugs and Drug Addiction) weist auf die Vorteile von Drug Checking hin. Mit einer klaren Haltung dafür oder dagegen ist man zwar zurückhaltend, aber empfiehlt in Anbetracht der Chancen weitere Forschung, um festzustellen, welche Aspekte des Drug Checking-​Angebots die Abwendung von Risiken und Schäden und Verhaltenänderungen bewirken.

Ein weiterer Vorteil für die Wissenschaft: Sie erhält Informationen über Drogengebrauchsmuster und Entwicklungen auf dem illegalen Markt. Die Daten werden in EU-​Projekten ausgewertet (z.B. hier).


Bedenken und Gegenargumente:

Sicherstellungen durch die Polizei reichen aus, um Daten über den Drogenmarkt zu erhalten und Warnungen herauszugeben.“

Polizeifunde bilden den Markt nicht repräsentativ ab. Es gibt eine zu lange zeitliche Verzögerung, um unmittelbar auf schädliche Substanzen am Markt mit Warnungen reagieren zu können. Durch ihre Position als Strafverfolger fehlt der Polizei letztendlich die Glaubwürdigkeit, hilfreiches Wissen zur Reduzierung von Risiken und Schäden vermitteln zu können (was sie auch gar nicht versuchen bzw. durch die Gesetze nicht in der Lage sind).

Drug Checking fördert den Konsum von Drogen.“

Verschiedene kurz- und längerfristige Umfragen haben gezeigt, dass dies nicht der Fall ist. Ebenso wenig wie bei anderen Maßnahmen der Harm Reduction, bspw. Spritzenabgaben oder Drogenkonsumräumen. Illegale Drogen werden so oder so konsumiert, da es in den meisten Fällen auch unter den illegalen Bedingungen gut genug läuft. Dennoch besteht das Interesse, die gesundheitlichen Risiken, die man für eine diversere Auswahl an Rauscherfahrungen in Kauf nimmt, zu reduzieren. Es wird nicht mehr konsumiert, sondern sicherer und reflektierter.

Ich fände es besser, wenn man dafür sorgt, dass niemand illegale Drogen nimmt.“

Die Drogengesetzgebungen der Welt zeigen seit 50 Jahren und länger, dass sich der Gebrauch illegalisierter Drogen selbst durch die drakonischsten Maßnahmen bis hin zur Todesstrafe oder gezielten Tötungen der eigenen drogengebrauchenden Bevölkerung (Thailand, 2003; Philippinen seit 2016) geschweige denn Maßnahmen gegen den Handel bspw. in Kolumbien nicht verhindern lässt. Das Interesse an den Drogen ist da und selbst unter den riskanteren illegalen Bedingungen ist der der Drogengebrauch meistens bereichernd und positiv. Ebenso wie bei Alkohol. Die mit Drogen assoziierten Probleme ergeben sich hauptsächlich aus der Illegalität und dem stigmatisierenden Umgang mit Drogenproblemen (inkl. Alkohol). Die Risiken und möglichen Schäden lassen sich durch wissenschaftlich fundierte Maßnahmen reduzieren. Beispielsweise die steigenden Zahlen von Todesfällen beim oder infolge des Gebrauchs illegalisierter Substanzen sind vermeidbar! Beim Ansatz (bzw. Grundhaltung) der Harm Reduction (auch: Schadensminimierung, Akzeptierende Drogenarbeit) geht es darum, auf Augenhöhe und evidenzbasiert Lebensqualität zu verbessern.

Senkt das verbindliche Beratungsgespräch nicht die Bereitschaft, das Angebot wahrzunehmen?“

Die beratenden Gespräche findet akzeptierend und bedingungslos statt, also im Sinne einer Dienstleistung für die Person, die das Angebot wahrnimmt. Denn nur so ist es möglich, einen offenen Raum zu schaffen, in der die Person jene Fragen stellt, die für sie zur Reflektion relevant sind. Nur so wird das nötige Vertrauen geschaffen. Die Initiativen bzw. Träger der Projekte bringen durch ihre Tätigkeiten in der Drogen- und Suchthilfe die erforderliche Erfahrung ein.


Weiterführendes:

Statistiken und Daten über Drogengebrauch: Wie viele Menschen nehmen Drogen und welche wie häufig? Lebenszeitprävalenzen, Prävalenzen für das letzte Jahr und weitere Daten zum Drogengebrauch in der EU Der Anteil von problematischem Drogengebrauch liegt bei etwa 12%, wie diese Studie gezeigt hat.

Zum Lesen: Ein Bericht über verschiedene europäische Drug Checking-​Projekte vom Pionier Hans Cousto.

Zum Lesen: Wie das Thüringer Drug Checking-​Projekt politisch realisiert wurde, erklärt Sebastian Franke vom Safer-​Nightlife-​Projekt Drogerie in diesem Interview. (Danke für den Tipp, Antonia Luther.)

Zum Hören: Nachtschatten Podcast: Drugchecking – Wie weit sind wir in Deutschland mit der Substanzanalyse? mit Dr. Felix Blei, der das Thüringer Drug Checking technisch bzw. chemisch möglich gemacht hat.

Drug Checking zu Hause: Die in Thüringen verwendeten Tests von Miraculix gibt es auch zum Bestellen für zu Hause für MDMA, Psilocybin, LSD. Tests für weitere Substanzen sind in der Entwicklung. Weniger komplexe Tests für weitere Substanzen gibt es von EZ Test Kits.

#StandWithUkraine: Hilfe für Menschen, die auf Medikamente und Drogenhilfe angewiesen sind

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