Zum Inhalt springen

Bild: Tom Radetzki (Unsplash)

Drogenbeauftragte vs. Zivilgesellschaft

Ein Kommentar von Philine Edbauer und Melissa Scharwey

Im März 2021 stellten Niema Movassat & Co. von der Linkfraktion eine Anfrage an die Drogenbeauftragte und CSU-​Bundestagsabgeordnete Daniela Ludwig, in der man um Transparenz über die Art der zivilgesellschaftlichen und wissenschaftlichen Beratung der Drogenbeauftragten bat und sich erkundigt hatte, ob die (Wieder-)Einführung eines unabhängigen Gremiums als sinnvoll erachtet werde. 

In den seit April vorliegenden Antworten heißt es, dass die Berufung eines unabhängigen, drogenpolitischen Gremiums nicht geplant sei und es wird deutlich, dass die Regierungsbeauftragte dies auch nicht als nötig erachtet. Statt eines unabhängigen, fachübergreifenden, wissenschaftlichen Beratungsgremiums wird laut Bundesregierung ein „flexibler, anlassbezogener und themenbezogener Austausch für erforderlich und für zielführender gehalten.“ Dieses Vorgehen betrachten wir als sehr problematisch, weil es eine rein subjektive Auslegung erlaubt, was „anlassbezogen“, „erforderlich“ und „zielführend“ ist.

Auf eine andere Frage zur Einbeziehung der Zivilgesellschaft bei der Gestaltung der Drogenpolitik wird geantwortet, dass dies bereits eine lang gelebte Praxis sei, da die Umsetzung vieler gesundheitspolitischer Maßnahmen durch zivilgesellschaftliche Träger geschehe. Umsetzung der Politik und Mitgestaltung sind allerdings zwei komplett verschiedene Dinge. Fakt ist, dass die deutsche Drogen- und Suchtstrategie die Einbeziehung von Zivilgesellschaft in der Politikgestaltung (die von Agenda-​Setting über Umsetzung bis zu Evaluierung reicht) nicht vorsieht. Damit kommt Deutschland der Aufforderung der EU-​Drogenstrategie 2021–2025, die Zivilgesellschaft bei der Gestaltung der Drogenpolitik einzubeziehen (S.35) nicht nach. (Auf eine direkte Nachfrage von Martin Steldinger nach der EU-​Drogenstrategie wich Daniela Ludwig auf Abgeordnetenwatch mit einer zynischen Antwort aus.)

Ein weiterer exemplarischer Abschnitt: „Den Antworten auf die vorangehenden Fragen ist zu entnehmen, dass die Bundesregierung die Expertise aller gesellschaftlichen Gruppen, insbesondere auch der Wissenschaft, in ihre Entscheidungsprozesse einbezieht. In der Existenz eines [Herv. d. Verf.] Alternativen Drogen- und Suchtberichtes sieht die Bundesregierung daher kein Zeichen einer fehlenden unabhängigen wissenschaftlichen Politikberatung.“

Es ist nicht besonders zielführend, sich an einzelnen Wörtern aufzuhängen – aber dass das zentrale und etablierte Organ Deutschlands drogen- und suchtpolitischer Expert:innen mit dem Wörtchen „eines“ als ein beliebiges Heftchen abgetan wird, ist vor dem Hintergrund der ganzen Antwort gelungen plakativ für die gesamte ignorante Herablassung. Die Expert:innen bereiten in den Jahresberichten seit 2014 gebündelt neue Forschungserkenntnisse diverser Disziplinen auf und geben Empfehlungen für politische Handlungen ab – zur Umsetzung im Rahmen der jetzigen Gesetzgebung als auch für nötige Reformen. Eine wiederholte Forderung ist das Engagement eines interministeriellen Gremiums unabhängiger Fachleute aus der Wissenschaft, Suchthilfe und Betroffenenorganisationen. Statt nach ihren Möglichkeiten so gut wie möglich für die Empfehlungen einzutreten, meint es die CSU-​Verkehrspolitikerin jedoch besser zu wissen.

Vielleicht sind Daniela Ludwig und ihr Team so weit von der gelebten Zivilgesellschaft und den Betroffenen entfernt, dass sie tatsächlich selbst glauben und für richtig halten, was sie schreiben. Der Hanfverband ist jedenfalls not amused, als Aushängeschild für einen unabhängigen Gesprächspartner benutzt zu werden. Über uns und unsere Petition, die wir der Drogenbeauftragten letzten September mit 24.273 Unterzeichner:innen inkl. sämtlichen Fachorganisationen und Expert:innen überreicht hatten, gar kein Wort. Was soll sie auch sagen, das Treffen kam nur nach öffentlichem Druck zustande und beinhaltete nicht mehr als pure Ablehnung unseres Anliegens, eine unabhängige Fachkommission zu engagieren. Unser Angebot, immerhin in Kontakt zu bleiben, jetzt wo das zivilgesellschaftliche Netzwerk gebildet ist, hat sie nicht angenommen. Dass sie sich in den Antworten auf die Anfrage jedoch gleichzeitig für zivilgesellschaftliche Einbindung lobt, ist bitter.

Zum Hintergrund der Anfrage: 1999–2002 gab es bereits eine unabhängige Fachkommission, die zu Ergebnissen kam, die sogar heute leider noch fortschrittlicher sind als der Status quo. Die Empfehlungen waren von der damaligen Drogenbeauftragten und Gesundheitsministerin verschleppt worden, indem ein einseitiger Drogen- und Suchtrat engagiert wurde. Der Rat wurde erst 2012 mit einer Anfrage nach den Informationsfreiheitsgesetz transparent. Der Drogen- und Suchtrat hat sich – im Gegensatz zu den Empfehlungen der Kommission – am Abstinenzideal ausgerichtet. Darüber hinaus wurde kaum etwas über die Tätigkeiten bekannt. Seit der aktuellen Legislaturperiode gibt es aber nun nicht einmal mehr diesen Rat. In den Blog-​Beiträgen zur Kommission (1999−2002) und zum Rat (2004−2016) haben Julia Meisner und Philine Edbauer vergangenes Jahr geschildert, was dank den Dokumentationen von zivilgesellschaftlichen Akteur:innen noch nachvollzogen werden konnte.


Über die Autorinnen:

Philine Edbauer ist Co-​Gründerin der #mybrainmychoice Initiative.

Melissa Scharwey hat an verschiedenen Advocacy- und Forschungsprojekten zu Drogenpolitik mitgearbeitet. Die letzten zwei Jahre hat sie in Irland für eine Harm Reduction-​Organisation die politische Arbeit mitgestaltet, und zuletzt für einem EU Projekt zur zivilgesellschaftlichen Einbeziehung in Drogenpolitik geforscht. Aktuell arbeitet sie im Bereich globale Gesundheit und Zugang zu Medikamenten in Berlin. Melissa Scharwey ist die Autorin des #mybrainmychoice-Hintergrundartikels über Harm Reduction.

Kommentare sind geschlossen, aber Trackbacks und Pingbacks sind möglich.